Gleichgewicht zwischen Freiheit und Sicherheit?
Unter dem Titel “Unsicherheit über Sicherheit” beschert uns die NZZ vom 24.08.2007 (kostenpflichtig) einen fragwürdigen Beitrag von Prof. Markus H. F. Mohler und zweier Assistenten zur aktuellen Sicherheitsdiskussion. Die Autoren kommen darin zur wahrlich bahnbrechenden Erkenntnis, dass begriffliche und rechtliche Klärungen unumgänglich seien, vor allem auch deshalb, weil nur so folgerichtige Strukturen im Sicherheitsbereich geschaffen werden können. Ziel sei ein Gleichgewicht zwischen Freiheit und Sicherheit. Hier ein paar Auszüge mit meinen Klammerbemerkungen:
Angesichts der gegenwärtigen terroristischen Bedrohung nehmen Sicherheitsfragen einen zunehmend hohen Stellenwert ein. [Wer bestimmt denn den Stellenwert, die tatsächliche Bedrohung oder Protagonisten, die mit diesem Thema einfach punkten können, weil niemand gegen Sicherheit sein kann?]
Das Niveau anzustrebender Sicherheit wird in der Schweiz immer stärker von den Finanzen und nicht von der Wirkung für die zu schützenden Rechtsgüter her definiert, eine Methode, die aufgrund ungenügender Prävention, Haftungsansprüchen aus Unterlassungen oder Grundrechtsverletzungen teuer zu stehen kommen könnte. [Ein Mass an Sicherheit zu fordern, das wir womöglich gar nicht bezahlen können, ist ein völlig unsinniger Ansatz. Interessieren würde mich aber vor allem, wie die Autoren Haftungsansprüche aus Grundrechtsverletzungen wegen ungenügender Prävention begründen wollen.]
Es wird noch besser: Den Kritikern der BWIS-Revision wird entgegengehalten, sie würden
übersehen, dass zu grosse Unterschiede zwischen der Schweiz und anderen europäischen Staaten hinsichtlich präventiver Massnahmen gegen den Terrorismus (vgl. auch das Übereinkommen des Europarats zur Verhütung des Terrorismus) selber als Anziehungskraft für kriminelle beziehungsweise terroristische Gruppen wirken und damit Sicherheitsrisiken steigern können. [Du, Osama, wir müssen unsere Anschläge unbedingt von der Schweiz aus organisieren. Da werden wir nicht überwacht, weil der Staatsschutz und die Polizei eingeschränkte Befugnisse haben. Das müssen wir ausnützen, bevor BWIS II in Kraft ist.]
Natürlich fehlt auch der Hinweis auf die internationale Staatensolidarität nicht:
Selbst wenn die Schweiz bloss als logistische Basis und Rückzugsraum missbraucht würde, könnte sie unter Umständen ihrer Verpflichtung zum Schutz von Menschenrechten (auch in andern Staaten) nicht nachkommen und würde international an Glaubwürdigkeit und (gegebenenfalls erwarteter) Unterstützung verlieren. [Wenn wir die Menschenrechte im Ausland nicht schützen, mögen uns die Ausländer nicht mehr. Wir müssen deshalb alle präventiven Massnahmen auch bei uns einführen. Dabei darf es nicht darauf ankommen, ob sie sich im Ausland bewährt haben oder ob sie dort bereits wieder abgebaut werden.]
Die Autoren schlagen die Schaffung eines Organs, welches mit einer permanenten, tabulosen Analysierung von Risiken betraut wäre, welches die Schutzziele und damit Sicherheitsbegriffe schaffen könnte. Damit könne dann das erwünschte Gleichgewicht zwischen Freiheit und Sicherheit erreicht werden:
Der demokratische Verfassungs- und Gesetzgebungsablauf (bis hin zu Volksentscheiden) bietet hernach die Grundlage für die Akzeptanz – zunächst also das erwünschte Gleichgewicht zwischen Freiheit und Sicherheit, das heisst: auch deren gegenseitige Ergänzung – und für allfällig nötige Verschiebungen von Kompetenzen (Bund/Kantone, Strukturen; ebenso bezüglich Armee, Polizei, Grenzwachtkorps) sowie der dafür nötigen Finanzen.
Der Ansatz der Autoren, die zuerst die Begriffe klären wollen, ist ja nicht schlecht. Sie setzen mit ihrer Analyse einfach eine Stufe zu spät an, sonst hätten sie erkannt, dass es das zu erreichende Gleichgewicht zwischen Freiheit und Sicherheit nicht geben kann. Die beiden Begriffe stehen nicht auf der selben Stufe, weil die Sicherheit die Freiheit voraussetzt. Ich halte es daher mit Dahrendorf oder Franklin, die das zwar nicht als erste erkannt haben, aber im Gegensatz zu vielen anderen nicht vergessen haben.