Grenzen der Strafverteidigung, private Zeugenbefragung

Die gegen einen Strafverteidiger verhängte Disziplinarstrafe von CHF 6,000.00 ist nach einem neuen Bundesgerichtsentscheid (BGE 2C_8/2010 vom 04.10.2010; BGE-Publikation vorgesehen) bundesrechtskonform. Der fehlbare Anwalt hatte Kontakt mit einer Person aufgenommen, die er erfolglos als Zeuge beantragt hatte. Das Bundesgericht bestätigt die Vorinstanz, dass diese Kontaktaufnahme nicht notwendig war und damit das Berufsrecht verletzte (Art. 12 lit. a BGFA).

Das Bundesgericht zieht die strenge Praxis der Aufsichtsbehörden heran und zitiert aus derjenigen des Kantons Zürich:

Sie statuiert drei Voraussetzungen, welche kumulativ erfüllt sein müssen, damit die Kontaktierung resp. die Befragung eines potentiellen Zeugen durch einen Rechtsanwalt von ihr als zulässig erachtet wird: Erstens wird verlangt, dass die Kontaktaufnahme den Interessen der eigenen Klientschaft dient. Zweitens müsse die störungsfreie Sachverhaltsermittlung durch das Gericht oder die Untersuchungsbehörde gewährleistet bleiben, weswegen die Befragung so auszugestalten sei, dass jede Beeinflussung vermieden werden könne. Drittens wird gefordert, dass eine sachliche Notwendigkeit für die Kontaktaufnahme besteht (…) (E. 3.2.3, Hervorhebungen durch mich).

Man mag davon halten was man will. Entscheidend ist nur, dass die Praxis so ist wie sie eben ist und dass ein Anwalt bereits deshalb seinem Klienten einen Bärendienst erweist, wenn er mögliche Zeugen befragt (und damit “verheizt”). Die Praxis anerkennt zwar, dass eine solche Kontaktnahme sogar geboten sein kann. Dabei seien aber besondere Vorsichtsmassnahmen zu beachten:

Um der Gefahr einer Beeinflussung des potentiellen Zeugen bzw. dem blossen Anschein einer unzulässigen Einflussnahme in solchen Fällen entgegenzuwirken, fordert die Lehre vom Anwalt die Beachtung entsprechender Vorsichtsmassnahmen: So soll der Anwalt den Zeugen schriftlich um ein Gespräch ersuchen und ihn darauf hinweisen, dass er weder verpflichtet ist zu erscheinen noch auszusagen. Ebenfalls habe der Anwalt dem Zeugen mitzuteilen, im Interesse welches Mandanten das Gespräch stattfinden soll. Das Gespräch solle ohne den Mandanten und wenn immer möglich in den Räumlichkeiten des Anwalts stattfinden, wobei gegebenenfalls eine Drittperson als Gesprächszeugin hinzugezogen werden soll. Der Anwalt dürfe keinen Druck auf den Zeugen ausüben und ihn insbesondere nicht zu einer bestimmten Aussage oder überhaupt zu irgendeiner Aussage drängen und ihm für den Fall des Schweigens nicht mit Nachteilen drohen. Als verpönt erachtet wird auch das Stellen von Suggestivfragen (RUCKSTUHL, a.a.O., Rz. 3.172; vgl. Handbuch Berufspflichten, a.a.O., S. 64 f.) (E. 3.2.2).

Da nimmt der kluge Verteidiger doch lieber eine Disziplinierung wegen gebotener, aber unterbliebener Kontaktnahme mit potentiellen Zeugen in Kauf.