Grundsatzentscheid zum Entsiegelungsverfahren
Im Entsiegelungsverfahren ist es gesetzlich möglich, eine sachverständige Person “zur Prüfung des Inhalts der Aufzeichnungen” beizuziehen (Art. 248 Abs. 4 StPO). In der Praxis ist diese Person oft ein Polizist, jedenfalls wenn es um die Entsieglung elektronischer Daten geht.
Damit stellt sich u.a. die Frage der Unabhängigkeit, die das Bundesgericht in einem weiteren Grundsatzentscheid (BGE 1B_90/2016 vom 08.09.2016, Publikation in der AS vorgesehen) in dem Sinne löst, dass dies nur möglich sein soll, wenn der Polizist für Triage keine Dokumenteninhalte beurteilen muss:
Au vu des considérations précédentes, un policier – y compris s’il est un membre d’une brigade spécialisée – ne peut pas être désigné en tant qu’expert pour effectuer le tri des documents dans une procédure de levée des scellés lorsque celle-ci nécessite d’avoir accès au contenu des pièces (E. 3.2.3).
Abgesehen davon, dass der Auftrag an den Polizisten und damit auch seine Kompetenz im vorliegenden Fall erstaunlich weit gefasst ist, ist mir das Bundesgericht noch immer zu grosszügig. Ich würde Polizisten als Sachverständige grundsätzlich ausschliessen.
Der Polizist wird ja nicht zur materiellen Prüfung des Inhalts begezogen, sondern um diese Prüfung technisch zu begleiten, also zur Erstellung einer forensischen Kopie des Inhalts, Aufbereitung dieser Daten zur Visionierung, bedienung der Software bei Visionierung und Umsetzung der Beschlüsse des Entsiegelungsrichters (also z.B. Entfernen von Inhalten aus dem Index oder Löschen von Inhalten vom Datenträger).
Meines Erachtens ist seine Qualifikation als Sachverständiger im Sinne von Art. 248 Abs. 4 StPO falsch. “Sachverständige” im Sinne dieser Bestimmung sind Ärzte, Mitglieder der Anwaltskommission, Geistliche, militärische und andere Experten – eben Sachverständige in der inhaltlich zu prüfenden Materie (z.B. zur Ausscheidung von spezifischen Geschäftsgeheimnissen). Der polizeiliche Computerforensiker ist eine schlichte – handwerkliche – Hilfsperson, wenn auch eine besonders qualifizierte.
Dass von den Zwangsmassnahmengerichten schon für die Bedienung von betriebsnotwendiger Software Sachverständigentitel verteilt werden – was dann noch implizit vom Bundesgericht so bestätigt wird -, illustriert aber gleich mehrere Probleme des heutigen Entsiegelungsverfahrens und der Beweisführung überhaupt mit elektronischen Daten.