Grundsatzentscheid zum Umfang wieder aufgenommener Strafverfahren
In einem zur Publikation vorgesehenen Urteil erklärt sich das Bundesgericht zur Frage des Prozess- und Beweisthemas in wieder aufgenommenen Strafverfahren (BGE 6B_154/2015 vom 11.05.2015).
Es stellt sich in diesem Entscheid gegen die in vielen Kantonen verbreitete Praxis, die das neue Verfahren wie ein Beschwerdeverfahren behandelt:
Das Gericht hat im wieder aufgenommenen Verfahren ex nunc zu entscheiden. Dabei sind alle alten und neuen Beweise und Vorbringen, also jene des Bewilligungsverfahrens sowie die in der neuen Hauptverhandlung vorgebrachten, zu berücksichtigen und frei zu würdigen (Niklaus Schmid, a.a.O., § 454 StPO/ZH N. 11). Das Gericht muss im wieder aufgenommenen Verfahren auf der Grundlage des aktuellen Stands der Tatsachen entscheiden und nicht, wie im Beschwerdeverfahren, auf der Basis des dem angefochtenen Urteil zugrunde liegenden Sachverhalts (BGE 107 IV 133 E. 2a). Dem Sachrichter im wieder aufgenommenen Verfahren ist es nicht verwehrt, Tat- und Rechtsfragen anders zu entscheiden als der Sachrichter im aufgehobenen Urteil, wenn ihm die Überzeugung vom Vorhandensein der früher angenommenen Tatsachen fehlt oder ihre seinerzeitige rechtliche Würdigung als unrichtig erscheint (Entscheid des Kassationsgerichts des Kantons Zürich vom 6. September 1976 in: ZR 75/1976 Nr. 98). Im wieder aufgenommenen Verfahren muss das Gericht nicht das aufgehobene Urteil überprüfen, sondern die Sache neu und selbständig verhandeln und entscheiden (E. 6.3).
Das Ergebnis lautet dann so:
Die Auffassung der Vorinstanzen, als Grundlage für das neue Urteil im wieder aufgenommenen Verfahren seien nur die ursprünglichen Beweismittel unter Berücksichtigung der in diesem Zusammenhang vorgebrachten Revisionsgründe beachtlich, weshalb die Beweisergänzungsanträge automatisch entfielen, ist unzutreffend (E. 6.4).