Gutachterin der ersten Stunde

Im Kanton AG wurde ein Mann wegen Tötung seiner Ehefrau verurteilt und zu einer Massnahmen nach Art. 59 StGB verurteilt. Der Massnahme lag ein Gutachten zugrunde, das teilweise auch auf einem Vorgespräch basierte, das kurz nach der Tat zwischen der Gutachterin und dem damals Beschuldigten ohne Wissen der Verteidigung stattgefunden hatte. Das Bundesgericht qualifiziert die dabei gemachten Aussagen als unverwertbar (BGer 6B_1390/2019 vom 23.04.2020).

Der Fall legt mehrere Problemstellen im Zusammenhang mit der Begutachtung von Beschuldigten offen. Dazu gehört die einem modernen Verfahren unwürdige Intransparenz der Explorationsgespräche, die dann zu Spekulationen über Verlauf und Inhalt führen muss. Das Bundesgericht stellt immerhin klar, dass es die Strafverfolger sind, welche die korrekte Belehrung zu beweisen haben:

Da es Aufgabe der Strafverfolgungsbehörde wäre, eine entsprechende Belehrung nachzuweisen, ist davon auszugehen, dass diese nicht erfolgte. Dies bedeutet, dass der Beschwerdeführer weder darüber aufgeklärt wurde, dass die Sachverständige der Staatsanwaltschaft den Inhalt des Gesprächs rapportieren darf beziehungsweise wird, noch, dass er die Fragen der Sachverständigen nicht beantworten muss. Erschwerend fällt vorliegend ins Gewicht, dass der Beschwerdeführer im Gesprächszeitpunkt noch nicht wusste, dass die Sachverständige später ein forensisch-psychiatrisches Gutachten über ihn erstellen wird und dass seine Äusserungen in die gutachterliche Beurteilung einfliessen werden. Damit verfügte der Beschwerdeführer bei seiner Entscheidung, ob er mit der Sachverständigen spricht und was er ihr erzählt beziehungsweise wie er sich verhält, nicht über alle relevanten Informationen (E. 2.4.3).  

Apropos Belehrungspflicht der Gutachter, deren Fehlen zur absoluten Unverwertbarkeit der Äusserungen des Probanden führt:

Die beschuldigte Person betreffend stimmt die Vorschrift in Art. 185 Abs. 5 StPO inhaltlich mit jener in Art. 158 Abs. 1 lit. b StPO überein. Gemäss dieser weisen die Polizei oder die Staatsanwaltschaft die beschuldigte Person zu Beginn der ersten Einvernahme in einer ihr verständlichen Sprache darauf hin, dass sie die Aussage und die Mitwirkung verweigern kann. Da sich die in Art. 185 Abs. 5 StPO enthaltene Vorschrift spezifisch auf die beschuldigte Person bezieht, ist davon auszugehen, dass die sachverständige Person diese zu Beginn ihrer Erhebungen über deren Rechte informieren muss. Diese Aufklärung ist auch erforderlich, wenn die beschuldigte Person zuvor bereits von der Polizei oder der Staatsanwaltschaft belehrt wurde (Urteile 1B_51/2020 vom 25. Februar 2020 E. 2.2.1; 6B_824/2018 vom 19. September 2018 E. 1.1 mit Hinweisen). Gemäss Art. 158 Abs. 2 StPO sind Einvernahmen, die ohne die in Abs. 1 der Bestimmung genannten Hinweise durchgeführt wurden, nicht verwertbar. Bei der Orientierung der beschuldigten Person handelt es sich nicht um eine blosse Gültigkeitsvorschrift, bei deren Verletzung eine Verwertung nicht gänzlich ausgeschlossen, sondern nach Massgabe von Art. 141 Abs. 2 StPO möglich bliebe. Vielmehr ist die Einvernahme absolut unverwertbar (vgl. Art. 141 Abs. 1 StPO; Botschaft vom 21. Dezember 2005 zur Vereinheitlichung des Strafprozessrechts, BBl 2006 1193 Ziff. 2.4.2; Urteile 1B_51/2020 vom 25. Februar 2020 E. 2.2.1; 6B_824/2018 vom 19. September 2018 E. 1.1) [E. 2.3.2].

Ergo:

Vorliegend muss davon ausgegangen werden, dass der Beschwerdeführer anlässlich des Gesprächs vom 15. August 2013, das im Übrigen ohne vorgängige Information des Verteidigers stattfand, weder über sein Mitwirkungs- und Aussageverweigerungsrecht noch über die Rolle der Sachverständigen beziehungsweise den Umstand, dass diese gegenüber der Staatsanwaltschaft nicht an das Arztgeheimnis gebunden ist, informiert wurde und auch nicht wusste, dass die Sachverständige über ihn ein forensisch-psychiatrisches Gutachten erstellen wird, in das seine verbalen sowie nonverbalen Angaben einfliessen könnten. Damit sind Art. 185 Abs. 5 StPO und der Anspruch des Beschwerdeführers auf rechtliches Gehör verletzt. Dies hat zur Folge, dass die Angaben, die der Beschwerdeführer gegenüber der Sachverständigen anlässlich des Gesprächs vom 15. August 2013 machte, nicht verwertbar sind und nicht in das Gutachten hätten einfliessen dürfen. Gestützt auf die vorinstanzlichen Feststellungen ist davon auszugehen, dass dies dennoch geschah (E. 2.4.4).

Und apropos Intransparenz:

Aus dem Gutachten ergibt sich nicht, welche Angaben des Beschwerdeführers vom 15. August 2013 in welchem Umfang in das Gutachten einflossen. Ebenso wenig ist ersichtlich, ob er sich bei den (weiteren) Explorationsterminen, als er über das Gutachten informiert und über seine Rechte belehrt worden war, nochmals gleich verhielt und seine Angaben wiederholte. Angesichts all dieser formellen Mängel und Unsicherheiten verletzt die Vorinstanz Bundesrecht, indem sie bei der Anordnung der stationären Behandlung von psychischen Störungen auf das forensisch-psychiatrische Gutachten vom 14. respektive 28. Mai 2014 abstellt (E. 2.4.4). 

Ob man sich nach solchen Urteilen noch immer dagegen aussprechen kann, dass die Explorationsgespräche audiovisuell aufzuzeichnen sind?