Haftgrund: Notwendigkeit
Im “Rechtsstaat” Schweiz werden fehlende Hafttitel durch Notwendigkeit geschaffen. Wird beispielsweise eine Massnahme nach Verbüssung der Freiheitsstrafe abgebrochen, besteht kein gesetzlicher Haftgrund mehr.
Und weil es ein Analogieverbot nicht mehr gibt, wendet das Bundesgericht einfach die Regeln der Untersuchungshaft analog an (BGer 1B_375/2015 vom 12.11.2015):
Die hier zu beurteilende vollstreckungsrechtliche Sicherheitshaft betrifft die Überführung von rechtskräftig verurteilten Gefangenen, die von der zuständigen Vollzugsbehörde sowohl als untherapierbar als auch in Bezug auf schwere Gewaltdelikte stark rückfallgefährdet eingestuft werden, vom (gescheiterten) Massnahmenvollzug in die Verwahrung. Schon daraus ergibt sich zwingend, dass die Möglichkeit bestehen muss, solche für die öffentliche Sicherheit potentiell gefährliche Gefangene für die Dauer des Verfahrens über die Anordnung einer Verwahrung in Sicherheitshaft zu versetzen. Es ist daher an der Praxis (BGE 141 IV 49 E. 2.6; 139 IV 175; 137 IV 333 E. 2) festzuhalten, dass die Bestimmungen der StPO über die Anordnung von Untersuchungs- und Sicherheitshaft analog auf die vorliegende Konstellation anwendbar sind und dementsprechend die gesetzliche Grundlage für die Anordnung der vollzugsrechtlichen Sicherheitshaft bilden (Hervorhebungen durch mich).
Eine mündliche Verhandlung ist dem Bundesgericht dann aber doch zu analog. Es führt erklärt auch gleich, warum mündliche Verhandlungen sinnlos sind:
Im Übrigen käme eine mündliche Anhörung in dieser Konstellation ohnehin einer leeren Formalität nahe, ist es doch kaum denkbar, dass ein Haftrichter die Anordnung der Sicherheitshaft allein aufgrund einer solchen Anhörung ablehnen und den Betroffenen umgehend entlassen könnte, nachdem ein für diesen negatives, das Vorliegen von Haftgründen bestätigendes, von der zuständigen Vollzugsbehörde als plausibel eingestuftes Gutachten vorliegt (E. 2.3).
Und was ist mit Art. 5 EMRK?
Mit denselben Argumenten könnte der Weiterzug eines Urteils des Bezirksgerichts Horgen ans Zürcher Obergericht abgelehnt werden. In jenem Fall hatte der Beschuldigte über ein Jahr lang, von der Polizei unbehelligt, Sachbeschädigungen für ca. Fr. 100’000.- an privatem und öffentlichem Eigentum in einer Gemeinde am oberen linken Zürichsee verübt. Nach seiner endlichen Verhaftung wurde er von der Staatsanwaltschaft als schuldunfähig taxiert und ist seither in einer psychiatrischen Anstalt im Massnahmenvollzug. Sein Pflichtanwalt, der bis zum Horgener Urteil bereits Fr. 30’000.- vom Staat kassierte, wird den Fall via Obergericht wohl auch noch vors Bundesgericht ziehen zwecks Honoraroptimierung, obwohl wegen des gutachterlich erwiesenen nicht therapierbaren Kontrollverlusts des Beschuldigten weniger einschneidende Massnahme ausgeschlossen sind. Ein solches Vorgehen beschlägt zwar auch das öffentliche Interesse in eklatanter Weise, wird vom Obergericht aber verteidigt.
Wie verträgt sich dieser Entscheid mit dem nur wenige Monate zuvor seitens der gleichen bundesgerichtlichen Abteilung ergangenen Entscheid BGer 1B_186/2015?
Liegt nicht ein eklatanter Widerspuch zwischen diesen Entscheiden vor? Oder übersehe ich etwas?