Haftprüfung im Jugendstrafverfahren

Das Bundesgericht hat festgestellt, dass die Strafprozessordnung des Kantons Zürich entgegen der Vorschrift von Art. 41 Abs. 1 JStG kein kantonales Rechtsmittel gegen erstinstanzliche Haftentscheide im Jugendstrafverfahren kennt (BGer 1B_346/2010 vom 11.11.2010). Es tritt demnach auf die Beschwerde gegen einen solchen Haftentscheid nicht ein und weist das Verfahren an das Obergericht des Kantons Zürich zur weiteren Behandlung. Anzufügen ist, dass das hier fragliche Verfahren (fälschlicherweise) durch die Staatsanwaltschaft und nicht durch die Jugendstaatsanwaltschaft geführt wird. Das Bundesgericht musste zuerst also die Frage klären, ob überhaupt Jugendstrafrecht zur Anwendung komme:

Die Straftaten, welche der Beschwerdeführer nach seinem 18. Geburtstag begangen haben soll, fielen in eine Zeit, als das Verfahren für die vor dem 18. Geburtstag angeblich verübten Taten bei der Jugendanwaltschaft bereits eingeleitet, aber noch nicht rechtskräftig abgeschlossen war. Der klare Wortlaut von Art. 3 Abs. 2 Satz 4 JStG spricht gegen die Auffassung der Vorinstanz, diese Bestimmung komme nicht mehr zur Anwendung, nachdem der Beschuldigte erstinstanzlich verurteilt sei (vgl. BGE 135 IV 206 E. 5 S. 209 ff.). Einzige Voraussetzung für die Anwendung des Jugendstrafverfahrens auf Delikte, welche der Täter nach Vollendung des 18. Altersjahrs begangen hat, ist die Rechtshängigkeit eines Jugendstrafverfahrens. Ein solches endet nicht mit der erstinstanzlichen Verurteilung, sondern erst mit dem rechtskräftigen Abschluss des Jugendstrafverfahrens. Etwas anderes lässt sich auch dem von der Staatsanwaltschaft erwähnten Urteil des Bundesstrafgerichts BG.2007.27 vom 17. Dezember 2007 nicht entnehmen. In der Lehre wird die Regelung als nicht sachgerecht kritisiert (vgl. GÜRBER/HUG/SCHLÄFLI, in: Basler Kommentar Strafrecht I, 2. Aufl. 2007, N.17 ff.). Das Bundesgericht hat sich zu dieser Kritik in BGE 135 IV 206 E. 5.3 S. 211 f. geäussert und erwogen, dass in sogenannten “gemischten Fällen”, bei denen gleichzeitig Straftaten zu verfolgen sind, die der Angeschuldigte vor und nach Vollendung des 18. Altersjahrs begangen haben soll, grundsätzlich das Jugendstrafverfahren anwendbar bleibt. Der Gesetzgeber nahm die erwähnte Kritik bisher nicht zum Anlass für eine Änderung von Art. 3 JStG, obwohl dazu beispielsweise im Rahmen des Erlasses der Jugendstrafprozessordnung des Bundes vom 20. März 2009 (BBl 2009 1993) Gelegenheit bestand. Es ergibt sich, dass im vorliegenden Haftprüfungsverfahren die Regeln des Jugendstrafgesetzes anzuwenden sind (E. 1.2.2).

Zur Anwendbarkeit des Jugendstrafrechts im Bereich der Untersuchungshaft:

Die Anordnung von Untersuchungshaft erfolgt auch bei Jugendlichen in erster Linie aufgrund der Bestimmungen des kantonalen Strafprozessrechts (hier: §§ 58 ff. i.V.m. § 380 Abs. 3 Zürcher Strafprozessordnung vom 4. Mai 1919 [StPO/ZH]). Zu beachten sind aber zusätzlich die restriktiveren Anforderungen gemäss Art. 6 Abs. 1 JStG. Die Entscheide über Untersuchungshaft gehören damit auch zu den anfechtbaren Entscheiden nach Art. 41 JstG (…) (E. 1.2.3).

Und zur daraus abgeleiteten Zuständigkeit des Obergerichts des Kantons Zürich:

Art. 41 Abs. 1 JStG verpflichtet die Kantone, ein Rechtsmittel vorzusehen, mit dem Urteile und Verfügungen, gleichgültig ob von Gerichten oder Verwaltungsbehörden erlassen, bei einer gerichtlichen Instanz des Kantons angefochten werden können (Botschaft des Bundesrats zum JStG vom 21. September 1998, BBl 1999 Ziff. 425.4 S. 2265). Es handelt sich dabei um eine Mindestgarantie, die vom kantonalen Recht über-, nicht aber unterschritten werden darf. Sie soll sicherstellen, dass das materielle Jugendstrafrecht und seine Grundsätze tatsächlich zum Tragen kommen (…) (E. 1.2.4).

Das in Art. 41 Abs. 1 JStG vorgeschriebene Rechtsmittel muss nach der Rechtsprechung ergriffen werden, bevor die Beschwerde an das Bundesgericht zulässig ist (BGE 133 IV 267 E. 3.4 S. 270 f.). Das kantonale Recht enthält keine Regelung über die Zuständigkeit einer gerichtlichen Instanz zur Überprüfung von Haftrichterentscheiden, die in den Anwendungsbereich des JStG fallen (vgl. § 62 Abs. 4 i.V.m. § 380 Abs. 3 StPO/ZH). Diese Verfahrensordnung, die kein Rechtsmittel an eine kantonale Instanz vorsieht, ist mit Art. 41 Abs. 1 JStG nicht vereinbar. Der Umstand, dass das kantonale Recht offenbar nicht an diese seit dem 1. Januar 2007 in Kraft stehende Bestimmung angepasst wurde, darf nicht dazu führen, dass auf die Beurteilung des Entscheids des Haftrichters durch ein kantonales Gericht in einem Rechtsmittelverfahren verzichtet wird. Gestützt auf Art. 80 Abs. 1 BGG kann auf die vorliegende Beschwerde jedoch mangels Letztinstanzlichkeit des angefochtenen Entscheids nicht eingetreten werden. Der angefochtene Entscheid enthält eine unrichtige Rechtsmittelbelehrung, deren Fehlerhaftigkeit der Beschwerdeführer nicht ohne Weiteres erkennen konnte. Die Sache ist an das kantonale Obergericht, das für die Beurteilung strafrechtlicher Entscheide der Bezirksgerichte grundsätzlich zuständig ist, zur materiellen Behandlung der vorliegenden Beschwerde zu überweisen (E. 1.2.5).