Haftung der Strafbehörden?
Gemäss einer heute publizierten Medienmitteilung des Bundesgerichts müssen die Strafbehörden nach einem Freispruch
grundsätzlich auch für den Schaden aufkommen, den die betroffene Person aus dem Verlust der Arbeitsstelle als Folge des geführten Strafverfahrens erlitten hat.
Mit „grundsätzlich “ meint das Bundesgericht aber wohl eher „ausnahmsweise“, denn es bezieht und beschränkt den für die Ersatzpflicht des Staates erforderlichen adäquaten Kausalzusammenhang auf die Strafbehörden (BGE 6B_106/2014 vom 18.04.2016). Für Handlungen anderer Behörden sollen die Strafbehörden nicht verantwortlich sein.
Entlässt eine Schulgemeinde einen (später freigesprochenen) Lehrer, weil gegen ihn ein Strafverfahren eröffnet wurde, haftet der Staat gemäss der Medienmitteilung nicht:
Voraussetzung ist allerdings, dass die Strafbehörden in rechtlicher Hinsicht für die Entlassung verantwortlich zu machen sind (sogenannter „adäquater Kausalzusammenhang“). Keine Verantwortung trifft die Strafbehörden dann, wenn die Entlassung durch das Fehlverhalten einer anderen Behörde verursacht wurde, mit dem nicht zu rechnen war. Im vorliegenden Fall kam das Zuger Verwaltungsgericht zum Schluss, dass die Entlassung des Betroffenen durch die Schulgemeinde sachlich nicht gerechtfertigt gewesen sei und eine unzulässige Verdachtskündigung vorgelegen habe. Dieses rechtswidrige Verhalten der Schulbehörde haben nicht die Strafbehörden zu vertreten und sie mussten mit einem solchen auch nicht rechnen. Vielmehr hätte von der Schulbehörde trotz der schwierigen Situation ein umsichtiges und behutsames Vorgehen erwartet werden dürfen. Nach dem gewöhnlichen Lauf der Dinge und der allgemeinen Lebenserfahrung war die Strafuntersuchung gegen den Betroffenen deshalb für sich alleine nicht geeignet, seine Entlassung zu bewirken. Im Rahmen des vorliegenden Verfahrens hatte das Bundesgericht nur die mögliche Haftung der Strafbehörden zu beurteilen.
Abgesehen davon, dass der Staat unabhängig von der verantwortlichen Verwaltungseinheit der einzige Haftungsträger sein kann, scheint das Bundesgericht die Realität vollständig zu verkennen:
Die Strafbehörden tragen nicht die Verantwortung für ein Fehlverhalten anderer Behörden und haben auch nicht für allfällig daraus entstehenden Schaden einzustehen. Das Verwaltungsgericht des Kantons Zug, welches die Auflösung des Arbeitsverhältnisses mit Blick auf die Vereinbarkeit mit dem einschlägigen Personalrecht geprüft hat, kam in seinem Urteil vom 25. Oktober 2011 zum Schluss, dass die Entlassung des Beschwerdeführers sachlich nicht gerechtfertigt war und eine unzulässige Verdachtskündigung ausgesprochen wurde. Das rechtswidrige Verhalten der Schulbehörde haben die Strafbehörden indessen nicht zu vertreten und sie hatten auch nicht mit einem solchen zu rechnen. Vielmehr hätte von der Schulbehörde trotz der für alle involvierten Personen schwierigen Situation ein behutsames und umsichtiges, ihrer Fürsorgepflicht als Arbeitgeberin gerecht werdendes Verhalten erwartet werden dürfen. Der Umstand alleine, dass gegen den Beschwerdeführer eine Strafuntersuchung geführt wurde, war nach dem gewöhnlichen Lauf der Dinge und der allgemeinen Lebenserfahrung nicht geeignet, dessen Entlassung zu bewirken (E: 1.5.3, Hervorhebungen durch mich).
Und dafür brauchte das Bundesgericht über anderthalb Jahre?
Beim Vorwurf der mehrfachen sexuellen Handlungen müssen die Stafbehörden nicht damit rechnen, dass die Schullleitung den beschuldigten Lehrer entlässt … Wann dann?
Hier scheint es mir, ignoriere das BGer die gesellschaftlichen Ansprüche an das Lehrpersonal und ihre Vorgesetzten komplett. Man kann ja getrost dezidierterer Meinung sein und nicht gleich wie Frau Chaban mit vollem Geschütz auffahren … aber sowas: einfach nur weltfremd!
In Medienmitteilung und Urteil lese ich keine Begründung für die Erwägung, dass bei einem Lehrer nach Anklage auf Kinderschändung nicht mit einer Entlassung durch die Schulbehörde zu rechnen sei. Ein vager Hinweis auf den „gewöhnlichen Lauf der Dinge“ und die „allgemeine Lebenserfahrung“ ist keine Begründung, sondern eine Ausrede. Eine Weiterbeschäftigung im Wissen um die Gefahr ist auf Grund der Fürsorgepflicht der Schulbehörde, die aktenkundig (E1.5.3) ist und offensichtlich neben den allein genannten Angestellten auch die Schulkinder umfasst, abwegig und würde die Eltern alarmieren. Ob mit der Entlassung zu rechnen war ist eine Sachfrage, die hier weltfremd (JtR) und mithin unrichtig entschieden wurde und das Urteil deshalb offen für die Revision macht.
Das Gericht wollte möglicherweise keinen Freipass für Kompensationsforderungen an den Staat bei Jobverlust nach falschen Beschuldigungen geben, hat sich und dem Steuerzahler aber mit dem angreifbar begründeten Urteil einen Bärendienst erwiesen.
Das Gericht wollte möglicherweise keinen Freipass für Kompensationsforderungen an den Staat bei Jobverlust nach falschen Anklagen geben, hat sich und dem Steuerzahler aber mit dem angreifbar begründeten Urteil einen Bärendienst erwiesen.
Grundsätzlich hat das BGer mit der allgemeinen Formulierung ja recht. Als *Beschuldigter* in *irgend* einer Strafuntersuchung ist nach der allgemein Lebenserfahrung wirklich nicht mit der Entlassung zu rechnen. Mir ist jedenfalls kein Fall bekannt, dass jemand wegen des *Verdachts* auf strafbares Verhalten rechtmässig entlassen worden ist.
Das ist aber nicht der Punkt. Es ist völlig irrelevant, ob *die Strafverfolgungsbehörden* mit der Entlassung des Beschuldigten rechnen mussten oder nicht. Besteht ein hinreichender Tatverdacht, und dazu reicht offenbar die theoretische Möglichkeit der Begehung, haben die Strafbehörden ihren Auftrag zu erfüllen und können kaum Rücksicht auf mögliche Konsequenzen für den Beschuldigten nehmen.
Off topic: Gehört es einfach zum Risiko einer Lehrperson, nur aufgrund der Behauptung Dritter Job und Einkommen – allenfalls sogar die Lehrerlaubnis zu verlieren und der gesellschaftlichen Hetzjagd preisgegeben zu werden?