Hilfe, (Verwaltungs-)Strafrecht!
Man muss das Verwaltungsstrafrecht als Richter ja nicht mögen. Dass man es aber nicht einmal mehr anzuwenden scheint (vgl. dazu den aktuellen Beitrag auf verwaltungsstrafrecht.ch), wirft kein gutes Licht auf den Zustand der Strafjustiz.
Das im verlinkten Beitrag thematisierte Defizit beschränkt sich m.E. leider nicht auf das Verwaltungsstrafrecht. Ich stelle ganz allgemein eine Unlust von Richterinnen und Richtern fest, strafrechtliche oder strafprozessuale Problemstellungen zu durchdringen. Anstatt sie zu lösen, umgeht bzw. übergeht man sie lieber; interessanterweise in der Regel aber vornehmlich dann, wenn damit der drohende Freispruch verhindert werden kann. Irrtum zugunsten der beschuldigten Person stellt man kaum je fest.
Die Richter möchten halt zu ihren Kollegen – in der Staatsanwaltschaft – halten.
Staatsanwälte haben.für gewöhnlich Autoritätsprobleme.
Gibt es im Verwaltungsstrafrecht Staatsanwälte?
„Anstatt sie zu lösen, umgeht bzw. übergeht man sie lieber; interessanterweise in der Regel aber vornehmlich dann, wenn damit der drohende Freispruch verhindert werden kann. Irrtum zugunsten der beschuldigten Person stellt man kaum je fest.“
@kj
Leider übersehen Sie, dass solche Urteile von STRAFRichtern gefällt werden. Strafrichter bestrafen. Sonst würden Sie ja FREISPRUCHRichter heissen.
Das ist die déformation professionnelle, die auch meine Vorgesetzten und meine Gerichtsschreiberinnenkolleginnen regelmässig befällt und die mir Bauchweh macht! Wenn man immer mit Leuten zu tun hat, die etwas angestellt haben, nimmt man mit der Zeit niemanden mehr Ernst und nimmt sowieso an, dass alle Personen vor Gericht nicht die Wahrheit sagen. „Lieber einmal zu viel verurteilen als einmal zu wenig“ heisst dann die Devise, da sonst am Stammtisch oder in der Lokalzeitung schlecht über einen Richter geredet wird. Und wenn dann ein Freispruch wegen eines Verfahrensfehlers erfolgt, kann man das der Rechtspflegekommission des Parlaments schlecht erklären. Schöner ist es doch immer, wenn dann die Lokalzeitung berichten kann, wie hart man durchgreift und nicht immer auf diese ach so mühsame Unschuldsvermutung verweisen muss. Mir macht diese Entwicklung Bauchweh. Ich versuche aber Gegensteuer zu den vorerwähnten Meinungen zu geben. Dadurch mache ich mich aber bei meinem Arbeitgeber nicht gerade beliebt.
…..Sie machen sich wohl auch mit Ihren Kommentaren auf diesem blog bei Ihrem Arbeitgeber nicht gerade beliebt….;o)
So viel Meinungsfreiheit muss es ertragen können. In der Urteilsberatung müssen die Fetzen fliegen und nachher muss man wieder an einem Strang ziehen.
Deshalb sollte eine Voraussetzung für das Richteramt sein: 10 Jahre Prozesserfahrung als Anwalt inkl. Strafverteidigung, sodass a) man die Lotterie des Zivilprozesses erfahren und b) die Unschuldsvermutung vertreten hat.
@da: genau. Wie in England. Und wenn man dann noch Spezialisten wählt, die nicht alles abdecken müssen, wäre viel gewonnen.
Wie der Kollege auf verwaltungsstrafrecht.ch richtig schrieb, wäre zu erwarten, dass die Richter die besten Juristen seien.
Polizisten absolvieren die Polizeischule, Staatsanwälte setzen sich in einem ordentlichen Bewerbungsverfahren durch, Strafverteidiger benötigen das Anwaltspatent.
Und Richter? Werden von Parlamentariern, manchmal vom Volk, gewählt. Auf Vorschlag einer Partei. Vorgeschlagen wird, wer zum richtigen Zeitpunkt in der richtigen Partei ist und die richtigen Leute kennt. Und mit Vorteil vom Recht Ahnung hat. Gegenkandidaten gibt es, da die Richterstellen unter den Parteien aufgeteilt sind, oft nicht.
@Justus: Richterwahlen in der Schweiz sind auf allen Stufen ein ganze schwieriges Thema. Obwohl Richterstellen im internationalen Vergleich sehr attraktiv ausgestaltet sind, finden sich viel zu wenig Interessierte. Kaum Auswahl, kaum Wettbewerb mit dem Ergebnis, dass Ausbildung und Erfahrung der Kandidierenden praktisch keine Rolle spielen.
Wer Geld ( Mandate Tax ) dafür bezahlen muss um Richter zu werden, könnte charakterlich auch durchaus geneigt sein Urteile „zu verkaufen“. Immerhin muss die Mandate Tax auch verdient werden.
Ich frage mich ernsthaft, wie man unter solchen Umständen Anwalt in der Schweiz sein kann, ausser es wird „mitgemacht“
Mit freundlichen Grüßen
BK
@justus. Das kommt daher, dass in der schweiz das richteramt als politisches amt, das demokratisch zusammengesetzt sein muss, betrachtet wird. Eine art demokratisierung des richteramtes. Fachliche expertise spielt zwar auch eine gewisse rolle, aber steht nicht im vordergrund. Man kann es auch so sagen: es gibt sicher fachlich und persönlich sehr gute richter und richterinnen in der schweiz, aber voraussetzung, um gewählt zu werden, ist das nicht.
Als ehemaliger Richter des BStGer gestatte ich mir den Hinweis, dass ein Teil der Bundeverwaltungsstrafverfahren – soweit sie überhaupt (in verschwindender Minderheit) an ein Gericht gelangen – durch das BStGer beurteilt werden und dabei die entsprechenden Rechtskenntnisse sehr wohl vorhanden sind. Zudem werden sämtliche Beschwerden während des Verfahrens durch die Beschwerdekammer beurteilt. Ich räume aber ein, dass die kantonalen Gerichte und Staatsanwalten so ziemlich keine Ahnung davon haben. Das sage ich aus eigener Erfahrung als ehemaliger Leiter einer Staatsanwaltschaft (der damals einer Überweisung ziemlich ratlos gegenüberstand).
Das VStrR ist zudem zur Zeit in Totalrevision, wobei noch nicht klar ist, in welche Richtung die Reise geht. Als mitkonsultierter Experte kann ich inhaltlich keine weiteren Angaben machen.
@Andy K.: So nehme ich es auch wahr. Das Problem liegt bei den Verfahren, die durch die kantonalen Gerichte zu beurteilen sind. Und das sind durchaus nicht wenige. Von der Totalrevision hört man leider nicht viel Positives, aber warten wir es mal ab.