Höchstrichterliche Abmahnung
In einem neuen Urteil (BGer 6F_18/2020 vom 22.07.2020) beginnt das Bundesgericht nun offenbar damit, Anwälte mehr oder weniger förmlich, nämlich im Rahmen der Urteilsbegründung “abzumahnen”:
Rechtsanwalt B. wird angehalten, inskünftig den prozessualen Anstand zu wahren. Auf eine Disziplinierung wird heute verzichtet. Der Rechtsvertreter wird indessen abgemahnt und darauf hingewiesen, dass ihm bei weiteren Eingaben dieser Art eine Ordnungsbusse auferlegt werden könnte (Art. 33 BGG) [E. 2.2].
In der Sache ging es um ein abgewiesenes Revisionsgesuch zum Urteil BGer 6B_834/2016 vom 16.06.2016, gegen das sich der Gesuchsteller erfolgreich beim EGMR beschwert und eine Entschädigung von EUR 25,000.00 erstritten hatte (EGMR, I.L. contre Suisse, req. no. 72939/16; vgl. dazu meine früheren Beiträge), Das war dem Bundesgericht dann auch genug des Guten. Hier aber die Erwägungen zum ungehörigen Verhalten des Anwalts:
Zudem wahrt Rechtsanwalt B. nicht den gebotenen prozessualen Anstand. Dies ist beispielsweise der Fall, soweit der Rechtsvertreter ausführt, das Bundesgericht begebe sich “moralisch-ethisch auf das Argumentationsni[e]veau eines Straftäters”, es habe sich “längst vom Legalitätsprinzip […] verabschiedet”, dessen Behauptungen seien “heuchlerisch”, oder indem er die Integrität der Bundesrichterinnen und Bundesrichter der Strafrechtlichen Abteilung hinterfragt (“Vielleicht ging es Ihnen aber auch nur um ihre persönliche Wählbarkeit. Ich habe keine Ahnung, ob Sie gelegentlich über die Frage der Verhältnismässigkeit nachdenken […]; “Es glaubt Ihnen schon jetzt niemand mehr”). Es kann darauf verzichtet werden, seine Rechtsschrift in Anwendung von Art. 42 Abs. 6 BGG zur Änderung zurückzuweisen. Der Rechtsvertreter wird darauf hingewiesen, dass seine Wortwahl nur mit grossem Wohlwollen nicht als standeswidrig bezeichnet werden kann. Nach Art. 12 lit. a des Bundesgesetzes vom 23. Juni 2000 über die Freizügigkeit der Anwältinnen und Anwälte (…) haben die Anwältinnen und Anwälte ihren Beruf sorgfältig und gewissenhaft auszuüben. Diese Verpflichtung hat für die gesamte Berufstätigkeit Geltung und erfasst neben der Beziehung zum eigenen Klienten sowohl die Kontakte mit der Gegenpartei als auch jene mit den Behörden (BGE 130 II 270 E. 3.2 S. 276 ff.). Die Kritik an der Justiz findet dort ihre Schranke, wo sie den Boden der Sachlichkeit verlässt und ohne zwingenden Grund die Integrität des Gerichts in Frage stellt (…). Dies ist hier teilweise der Fall, selbst wenn eine scharfe oder gar übertriebene Kritik zulässig bleiben muss und nicht jede Äusserung auf die Goldwaage zu legen ist. Rechtsanwalt B. verlässt diesen Rahmen einer sachlichen Kritik an der Rechtspflege. Seine Unterstellung etwa, die Richterinnen und Richter der Strafrechtlichen Abteilung hätten ihre Wiederwahl vor Augen und beugten sich gesellschaftlichen oder politischen Forderungen, stellt eine grobe Entgleisung dar. Gleiches gilt, soweit er dem Bundesgericht Heuchelei vorwirft. Rechtsanwalt B. wird angehalten, inskünftig den prozessualen Anstand zu wahren. Auf eine Disziplinierung wird heute verzichtet. Der Rechtsvertreter wird indessen abgemahnt und darauf hingewiesen, dass ihm bei weiteren Eingaben dieser Art eine Ordnungsbusse auferlegt werden könnte (Art. 33 BGG) [2.2}.
Ich weiss nicht, was ich davon halten soll. Völlig unabhängig vom durchaus kritisierbaren Verhalten des Gesuchstellers bzw, seines Anwalts verstehe ich nicht, wieso das Bundesgericht nicht einfach Nägel mit Köpfen macht. Mit der Abmahnung und dem zum Ausdruck gebrachten “grossen Wohlwollen” begibt es sich doch ohne jede Not auf Glatteis. Auch den Verweis auf das Standesrecht finde ich unnötig. Das Bundesgericht ist doch kein Standesgericht, das über Regeln wacht, die sich die Anwälte selbst gegeben haben. Ich fürchte, mit dem hier zitierten Entscheid wird die Sache nicht beendet sein.
Unglaublich…wenigstens kennt jetzt jeder dessen Namen
@Anonymous: das ist ein voreiliger Schluss.
aufrund der erwähnten Urteile (Verweise) wird der Name des Anwalts ja öffentlich…ist das nicht problematisch? Dann hätte man den Namen ja gleich erwähnen können.
@C.T. Ich finde es eher problematisch, nur teilweise zu anonymisieren. Man könnte sich aber auch fragen, wieso Anwälte nur anonymisiert werden, wenn ihnen etwas vorgeworfen wird. Weiss ehrlich gesagt weder was richtig ist noch was für die Anwälte besser ist.
Bei der nebenamtlichen Bundesrichterin van de Graaf treffen die (meisten) Vorwürfe des Anwalts mutmasslich zu. Diese hatte, um einen STA in Schwyz wegen Amtsmissbrauch / Freiheitsberaubung vor Strafe zu schützen, den davon betroffenen Bürger für Dinge und zur Tragung sämtlicher Untersuchungs- und Gerichtskosten verurteilt, obwohl es dazu keine belastenden Akten gibt. Gefeiert wurde die Wahl zur Bundesrichterin in der ersten Etage des Schwyzer Rathauses, als unten im Saal gerade das Strafgericht über einen eingeklagten Polizeiübergriff mit schweren Folgen für das Opfer tagte, welche Anklage es von 4 Anwälten abzuwehren galt.
@Hansueli Salinger: Frau van de Graaf ist ordentliche Bundesrichterin
Rechtsanwalt B. ist meines Wissens nicht mehr im Anwalsregister eingetragen (sofern es derselbe Rechtsanwalt ist, der zuvor schon als Rechtsanwalt B. bezeichnet wurde).
Nur aufgrund der Bezeichnung muss es sich nicht immer um dieselbe Person handeln, zumal das lateinische Alphabet lediglich aus 26 Buchstaben besteht. Andernfalls würden die Personen A., B., C., X., Y. und Z., welche täglich in Verfahren vor Bundesgericht verwickelt sind, doch eine erschreckende kriminelle Energie aufweisen.
Bei Verletzungen des Anstandes wird die fehlbare Person mit einem Verweis oder einer Ordnungsbusse bis zu 1000 Franken bestraft (Art. 33 Abs. 1 BGG). Indem das Bundesgericht den Tatbestand im Entscheid ausdrücklich als erfüllt erachtet, hat es eine der beiden Disziplinierungsmassnahmen auszusprechen, da hierbei kein Ermessensspielraum besteht (keine Kann-Bestimmung). Weil keine Busse ausgesprochen wurde, sind die Erwägungen des Bundesgerichts als Verweis zu qualifizieren, selbst wenn es eigentlich auf eine (härtere) Disziplinierung verzichten wollte.
Sie haben recht. Ich nehme meine Aussage zurück (insb. weil ich i.c. falsch liege…).
Guten Tag,
schwieriges Thema. Weiß auch nicht so recht was ich davon halten soll. Gut, dass du das thematisierst.
Viele grüße
Christoph
Solche Urteile durch ein oberstes Gericht haben in der heutigen Zeit gerade auf die junge Studentenschaft (wegen dem Internet und Translationssoftware) massiven Einfluss auf die Reputation der Schweizer Justiz. Dabei unterstellen AI und alle bedeutenden NGOs der Schweizer Richterschafft eine mögliche fehlende Unabhängigkeit durch den Druck der Wahlen, bzw. der Finanzierung der Parteien durch die gewählten Richter und ist keine neue Behauptung des Kollegen.
Gratulation zum Sieg beim EGMR Herr Kollege