Höchstrichterliche Lektion an die Oberstaatsanwaltschaft

Das Bundesgericht erinnert die Oberstaatsanwaltschaft des Kantons Solothurn an ihre Aufgaben. Dazu gehöre jedenfalls nicht, Zwischenentscheide des Obergerichts des Kantons Solothurn anzufechten, um ihre Prozesschancen zu wahren oder um aufwändige Prozesse zu vermeiden.

Anlass war eine Beschwerde der Oberstaatsanwaltschaft gegen ein gutgeheissenes Revisionsgesuch, auf welche das Bundesgericht nicht eintreten konnte (BGer 6B_544/2015 vom 23.07.2015).

Die Begründung der Staatsanwaltschaft:

Die Beschwerdeführerin erblickt den nicht wieder gutzumachenden Nachteil darin, dass die Aufhebung des seinerzeitigen Urteils vom 28. November 2011 „eine massive Verschlechterung der Prozesschancen bewirkt“. Ohne Zulassung der Revision „lägen die Prozesschancen der Staatsanwaltschaft bei 100 % (rechtskräftige Verurteilung, Verfahren abgeschlossen), nach erfolgter Aufhebung signifikant darunter, mutmasslich unter 50 %, denn die Gutheissung des Revisionsgesuchs [bedeute] ja, dass das neue Urteil ‚wahrscheinlich‘ milder ausfallen [werde] als das aufgehobene“ (Beschwerde, S. 3). Überdies könnte durch die Gutheissung der Beschwerde eine weitläufige Prozessführung vermieden werden, da im neuen Verfahren die Beweislage erneut umfassend und detailliert geprüft werden müsste, was zu einem erheblichen Aufwand führe (Beschwerde, S. 4) [E. 1.3].

Das Bundesgericht weist zunächst darauf hin, die Staatsanwaltschaft sei vor zusätzlichem Aufwand nicht geschützt, den sie nach Gesetz betreiben muss:

Die Beschwerdeführerin verkennt, dass die Staatsanwaltschaft weder einen Anspruch auf Verurteilung noch auf Wahrung „intakter“ Prozesschancen hat. Sie ist ebenso wenig vor zusätzlichem Aufwand geschützt, der ihr durch gesetzlich gebotene Abklärungen erwächst (E. 1.3).

Damit weiss ja nun der zuständige Richter, die die Staatsanwaltschaft ihre Prozesschancen einschätzt. Und dann folgt noch eine Lektion über die Aufgaben einer Staatsanwaltschaft:

Aufgabe der Staatsanwaltschaft ist es vielmehr, für die gleichmässige Durchsetzung des staatlichen Strafanspruchs unter Wahrung der vom Gesetz vorgesehenen Formen zu sorgen (Art. 16 Abs. 1 i.V.m. Art. 2 Abs. 2 StPO). Ihr Handeln ist nicht in erster Linie auf Verurteilung ausgerichtet; vielmehr hat sie alle für die Beurteilung der Tat und der beschuldigten Person bedeutsamen Tatsachen abzuklären, wobei sie den belastenden und entlastenden Umständen mit gleicher Sorgfalt nachzugehen hat (Art. 6 StPO). Die Staatsanwaltschaft ist – wie alle anderen Strafbehörden auch – in der Rechtsanwendung unabhängig und allein dem Recht verpflichtet (Art. 4 Abs. 1 StPO). Die blosse Tatsache, dass ein Urteil im Rechtsmittelverfahren aufgehoben und das Verfahren wieder neu aufgenommen wird, kann deshalb für die Staatsanwaltschaft keinen nicht wieder gutzumachenden Nachteil im Sinne von Art. 93 Abs. 1 lit. a BGG bewirken […] (E. 1.3).