Ich bestätige meine verweigerten Aussagen
In einem Verhandlungsprotokoll ist die erste Frage des Richter wie folgt protokolliert:
Bestätigen Sie die am 6. Februar 2017 bei der Polizei gemachten Aussagen?
Antwort des Beschuldigten:
Ich habe damals keine Aussagen gemacht. Dies bestätige ich.
Die Frage, die so verbreitet ist, dass man meinen könnte, sie sei gesetzlich vorgeschrieben, sollte man eigentlich verbieten. Ich habe bis heute nicht verstanden, was sie eigentlich bezwecken soll.
Ich stelle die Frage “Entsprechen Ihre am xx.xx.xxxx bei der Polizei gemachten Aussagen der Wahrheit?” bei STA-Einvernahmen der beschuldigten Person (und auch von Zeugen/Auskunfspersonen, welche vorgängig polizeilich befragt wurden) IMMER. Ich möchte der beschuldigten Person damit die Gelegenheit geben, allenfalls unrichtige Aussagen zu korrigieren oder ein anlässlich der polizeilichen Befragung abgelegtes Geständnis zu widerrufen. Was soll an der Frage falsch oder nicht gut sein, Herr Kollege Jeker? Schon oft haben beschuldigte Personen dann auf die erwähnteFrage hin geantwortet “Nein, nicht ganz.” oder “Nein.” Und haben dann in der STA-Einvernahme die “neue Version” dargelegt. Daher nochmals: Weshalb sollte man diese Frage verbieten?
Also meiner Erfahrung nach weiss kaum mehr jemand, was er vor Monaten oder gar Jahren mal zu Protokoll gegeben hat. Die Frage zielt ja im Prinzip darauf ab, ob jemand zuvor gelogen hat. Besser ist meines Erachtens die offene Frage: „Möchten Sie noch etwas zur letzten Einvernahme ergänzen?“ Diese Frage überlässt es dem Beschuldigten, ob er etwas von sich aus berichtigen oder lediglich ergänzen möchte. Die Frage nach „der Wahrheit“ klingt auch mehr wie eine Suggestivfrage oder als ob man eine Falle stellen will, denn nach Monaten kann es durchaus sein, dass jemand einen Sachverhalt anders bewertet/in Erinnerung hat. Wenn man das Protokoll kurz zuvor nicht nochmals liest, dann ist es faktisch ohnehin kaum möglich zu sagen, ob man die damaligen Ausführungen bestätigen kann.
Dank Akteneinsicht und der vorgängigen Beratung durch ihre Rechtsbeistände wissen die erneut zu befragenden Personen (zumindest, wenn es Parteien sind) jeweils genau, was sie wann gesagt haben oder eben nicht.
@ M. Schäfer:
Und genau deshalb ist die Frage ja überflüssig, wenn nicht gar kontraproduktiv: Denn entweder bereitet sich die befragte Person vor und verfolgt eine Strategie, was dazu führt, dass die Antwort auf die Frage keine neuen Erkenntnisse bringt, oder sie kann eben ohne Vorbereitung aufgrund des natürlichen Zeitablaufs aus rein „menschlichen“ Gründen keine sinnvolle Antwort geben.
Im Übrigen ist es m.E. für die „Beziehung“ zwischen Befrager und Antwortenden nicht gerade förderlich, wenn die erste Frage lautet: „Haben Sie das letzte Mal gelogen/die Wahrheit gesagt?“
In diesem Kontext und als erste Frage ist diese Frage wenig sinnvoll. Allerdings kommt es auf den Einzelfall an, insbesondere auch, was jemand früher schon ausgesagt hat, wie oft jemand insgesamt schon befragt worden ist etc.
Historisch gesehen sind solche Fragen ein Relikt aus Vor-eidgenössischer-StPO-Zeit, als polizeiliche Einvernahmen erst verwertbar waren, wenn sie staatsanwaltschaftlich/untersuchungsrichterlich bestätigt wurden. Aber die Frage, ob jemand bei früheren Einvernahmen wahrheitsgemäss ausgesagt hat, ist in der Regel sinnvoll.
“Historisch gesehen sind solche Fragen ein Relikt aus Vor-eidgenössischer-StPO-Zeit, als polizeiliche Einvernahmen erst verwertbar waren, wenn sie staatsanwaltschaftlich/untersuchungsrichterlich bestätigt wurden.” — Aufschlussreicher Input. Danke!