IK: wann ist ein abstraktes Risiko konkret?

Was ein berufsrechtlicher Interessenkonflikt ist, entscheidet weder der Anwalt noch der Mandant. Das bestätigt das Bundesgericht in einem Fall, in welchem die Staatsanwaltschaft den erbetenen Verteidiger einer natürlichen Person (in der Folge kurz Beschwerdeführer) nicht als Verteidiger zugelassen hat (BGer 1B_528/2021 vom 21.12.2021). Die Staatsanwaltschaft wirft dem Beschwerdeführer Vermögensdelikte gegen eine Gesellschaft vor, die dem Beschwerdeführer (mehrheitlich) gehört und die bereits vom Anwalt – mandatiert vermutlich durch den Beschwerdeführer als Organ – vertreten wird, den der Beschwerdeführer mit seiner Verteidigung betrauen wollte. Hier die entscheidende Erwägung des Bundesgerichts:

Eine Aktiengesellschaft, wie vorliegend die C. AG, ist als juristische Person selbständige Vermögensträgerin. Ihr Vermögen ist mithin nicht nur nach aussen, sondern auch im Verhältnis zu den einzelnen Gesellschaftsorganen ein fremdes (BGE 141 IV 104 E. 3.2; Urteil 6B_1053/2017 vom 17. Mai 2018 E. 5.3). Diese Verschiedenheit der Rechtssubjekte und damit die Fremdheit des Vermögens des einen Rechtssubjekts für das andere ist auch im Strafrecht grundsätzlich beachtlich (BGE 141 IV 104 E. 3.2; Urteil 6B_1053/2017 vom 17. Mai 2018 E. 5.3). Insofern bleibt die C. AG, selbst wenn die Mehrheit der Aktien angeblich in den Händen des Beschwerdeführers (und seinen Brüdern) liegt, eine vom Beschwerdeführer unabhängige juristische Person mit eigenen Vermögensinteressen.  Aufgrund des Verdachts der Strafverfolgungsbehörden, der Beschwerdeführer habe die Interessen der AG verletzt, ist naheliegend, dass sich für Rechtsanwalt XY unweigerlich ein konkretes Risiko eines Interessenkonflikts ergeben könnte, wenn er sowohl die AG als auch den Beschwerdeführer vertritt. Dies zeigt sich insbesondere am Vorwurf der ungetreuen Geschäftsbesorgung zum Nachteil der C. AG und den zu untersuchenden angeblichen Geldabflüssen vom Konto der AG auf das Privatkonto des Beschwerdeführers. Bei der Aufklärung dieses Vorwurfs kann jedenfalls nicht ohne weiteres von gleichgerichteten Interessen des Beschwerdeführers und der C. AG, als selbständige Vermögensträgerin, gesprochen werden. Daran ändert auch der Einwand des Beschwerdeführers nichts, er sei mit der vorliegenden Doppelvertretung einverstanden. Die Doppelvertretung bleibt bei Vorliegen eines konkreten Risikos eines Interessenkonflikts trotz Einwilligung unzulässig (vgl. Urteil 1B_120/2018 vom 29. Mai 2018 E. 5.5). Unbehelflich ist im Übrigen auch sein Einwand, er habe das Geld auf sein privates Konto überwiesen, um es dem Zugriff des Beschwerdegegners zu entziehen. Diesen Einwand gilt es im zugrunde liegenden Strafverfahren zu untersuchen. Zusammenfassend hat die Vorinstanz daher kein Bundesrecht verletzt, indem sie das konkrete Risiko eines Interessenkonflikts bejahte und die Doppelvertretung für unzulässig erklärte (E. 2.4).

Ich glaube nicht, dass es Sache der verfahrensleitenden Staatsanwaltschaft sein darf, einen zur Berufsausübung zugelassenen Anwalt als Verteidiger auszuschliessen. Ich sehe dafür keine Rechtsgrundlage. Hinzu kommt, dass ich nicht verstehe, wann das Risiko eines Interessenkonflikts trotz aufgeklärter Einwilligung der vertretenen Personen unzulässig sein soll, zumal ein abstraktes Risiko ja nicht genügt, um eine Interessenkollision bejahen zu können. Oder: was unterscheidet ein bloss abstraktes IK-Risiko von einem konkreten?