Illegale Verkehrsüberwachung

Das Bundesgericht hat sich in einem gestern publizierten Entscheid mit der Beweiserhebung mittels AFV (Aufzeichnungen der automatischen Fahrzeugfahndung und Verkehrsüberwachung) auseinandergesetzt (BGE 6B_908/2018 vom 07.10.2019, Publikation in der AS vorgesehen). Die grosse Masse der Verkehrsteilnehmer weiss wahrscheinlich nicht einmal, dass es solche Verkehrsüberwachungen gibt. Strafprozessual gibt es sie nicht, weshalb eine andere gesetzliche Grundlage erforderlich ist, um die Überwachungen zu legalisieren.

Die Kantone sind gerade dabei, sich solche Grundlagen zu schaffen. Sie werden aber m.E. nicht genügen, um zu verwertbaren Beweisen führen zu können. Das gilt jedenfalls für die Bestimmungen, die gerade in das Polizeigesetz SO aufgenommen werden sollen (vgl. dazu die Vernehmlassung des SolAV und die Berichterstattung der Solothurner Zeitung dazu).

Das Bundesgericht hält in verdankenswerter Weise fest, wie die Überwachungsmethode eingesetzt wird.

Die AFV beschränkt sich allerdings nicht auf eine blosse Erhebung und Aufbewahrung von erkennungsdienstlichen Informationen. Vielmehr werden diese mit anderen Datensammlungen zusammengeführt und automatisiert abgeglichen. Die AFV ermöglicht die serielle und simultane Verarbeitung grosser und komplexer Datensätze innert Sekundenbruchteilen, was insofern über die herkömmliche verkehrstechnische Informationsbeschaffung und die Fahndungssysteme der bisherigen sicherheitspolizeilichen Gefahrenabwehr hinausgeht. Die Eingriffsintensität nimmt mit dem Zugriff und der Nutzung der Daten durch die zuständigen Behörden erheblich zu (BGE 144 I 126 E. 5.4 S. 135 f.). Namentlich die Kombination mit anderweitig erhobenen Daten und eine entsprechende Streuweite des Systems können Grundlage für Persönlichkeits- oder Bewegungsprofile bilden. Dabei gilt es zu berücksichtigen, dass der weder anlassbezogen noch aufgrund eines konkreten Verdachts erfolgte Eingriff in die Grundrechte eine abschreckende Wirkung zeitigen kann. Die Möglichkeit einer späteren (geheimen) Verwendung durch die Behörden und das damit einhergehende Gefühl der Überwachung können die Selbstbestimmung wesentlich hemmen (sog. “chilling effect”, “effet dissuasif”; dazu BGE 143 I 147 E. 3.3 S. 152 f. mit Hinweisen; MÜLLER, a.a.O., S. 208 f.; STETTNER, a.a.O., S. 120 ff.). 
Bei der Überwachung besteht schliesslich auch die Gefahr, dass Betroffene zu Unrecht in Verdacht geraten (vgl. BGE 124 I 80 E. 2e S. 83 f.). Im Kanton Thurgau wurden in den ersten Monaten nach Inbetriebnahme insgesamt 829’444 Kontrollschilder erfasst. Dabei resultierten 3’262 Treffer, die aufgrund verschiedener Fehlerquellen (z.B. Falschinterpretationen, Fremdlenker) bereinigt werden mussten. Letztlich sollen 166 Fälle zu “Polizeiaktionen” geführt haben (vgl. Tätigkeitsberichte 2012 der Datenschutzbeauftragten des Kantons Thurgau, nicht akturierte Akten des Bezirksgerichts Arbon). Damit liegt eine erhebliche Fehlerquote vor. Diese Zusammenhänge unterstreichen, dass bei der AFV nicht von einer leichten, sondern von einer schweren Eingriffsintensität auszugehen ist (E. 3.2, Hervorhebungen durch mich). 

Die gesetzlichen Grundlagen des Kantons TG erweisen sich laut Bundesgericht als ungenügend. Die Beweise waren daher im vorliegenden Fall nach Art. 141 Abs. 2 StPO nicht verwertbar, weil keine schwere Straftat zu beurteilen war.

Einen raschen Überblick verschafft die Pressemitteilung des Bundesgerichts.

Was das Bundesgericht m.E. übersieht ist, dass die kantonale gesetzliche Grundlage auch bei an sich genügender Normdichte nicht genügen kann. Es gibt einen numerus clausus der Zwangsmassnahmen, der durch kantonale Zwangsmassnahmen nicht erweitert werden kann. Die Kantone haben im Bereich Strafverfolgung keine Gesetzgebungskompetenz.