IMSI-Catcher im Grosseinsatz

Ein neues Urteil des Bundesgerichts (BGer 1B_191/2018 vom 16.10.2018)  lässt vermuten dass IMSI-Catcher in der Schweiz wohl doch häufiger als gemeinhin angenommen eingesetzt werden. Im aktuellen Fall wurden sie im Bereich Drogenfahndung eingesetzt, und zwar bevor die eigens geschaffene gesetzliche Grundlage (Art. 269bis StPO) in Kraft war (was nach BGer ja kein Problem ist; vgl. dazu meinen früheren Beitrag).

Das Bundesgericht äussert sich ausführlich zur Frage der Verwertbarkeit von Zufallsfunden aus geheimen Überwachungen (vgl. dazu unten). Im vorliegenden Entscheid interessiert aber primär die Rüge, dass die genehmigten Stingray-Einsätze nur für die Standortidentifikation genehmigt wurden und die Ermittlung von Ruf- und Gerätenummern nicht einschlossen. Das Bundesgericht schmettert die entsprechende Rüge mit folgender “Begründung” ab:

Da mittels technischer Überwachung des Fernmeldeverkehrs auch die Ermittlung von Ruf- und Gerätenummern (als Verbindungsranddaten) grundsätzlich zulässig ist (Art. 280 f. i.V.m. Art. 273 StPO, vgl. dazu oben, E. 3.7), musste dies in den altrechtlichen richterlichen Bewilligungen nicht noch ausdrücklich “spezifiziert” werden. Eine inhaltliche Überwachung des Fernmeldeverkehrs per Catcher-Einsatz (Art. 280 lit. a i.V.m. Art. 269 ff. StPO) wurde unbestrittenermassen weder verfügt noch durchgeführt. Die Ansicht der Vorinstanz, die fraglichen IMSI-Catcher-Einsätze seien von den zuständigen Gerichten genehmigt worden, hält vor dem Bundesrecht stand (E. 4.5).
Das geht m.E. an der Sache vorbei. Nur weil es “grundsätzlich zulässig” ist, Ruf- und Gerätenummern zu ermitteln, heisst das doch nicht, dass es dazu keine Genehmigung des IMSI-Catcher-Einsatzes braucht, der ja offenbar “nur” der Standortidentifikation diente und zu diesem Zweck bewilligt wurde. Dass im Zeitpunkt der Bewilligung Art. 269bis StPO noch gar nicht im Einsatz war, macht die Sache nicht besser,
Immerhin enthält der Entscheid auch wichtige Informationen zur Verwertbarkeit von Zufallsfunden:
Auch in BGE 140 IV 40 hatte das Bundesgericht die Verwendbarkeit eines Zufallsfundes zu beurteilen, der neue Verdachtsgründe gegen eine andere Person (Art. 278 Abs. 2 StPO) zutage förderte, die bei den ersten (bereits richterlich bewilligten) Überwachungen noch nicht als Zielperson bzw. beschuldigte Person genannt war. Gestützt auf den Zufallsfund wurde auch gegen den neu Beschuldigten eine geheime Überwachung angeordnet, die dieser nachträglich anfocht. Der Anwalt des Beschuldigten stellte sich auf den Standpunkt, er müsse die Rechtmässigkeit aller früheren Überwachungen überprüfen können, die “kaskadenweise” zum Zufallsfund gegen seinen Mandanten führten. Das Bundesgericht stellte klar, dass jene Beweisergebnisse der früheren Ueberwachungen, welche unmittelbar den Zufallsfund begründen, in die Akten des neuen Verfahrens übernommen werden müssen: Eine rechtmässige Verwendung des Zufallsfundes und eine neue inhaltliche Überwachung des Fernmeldeverkehrs setzen insbesondere den dringenden Tatverdacht eines Katalogdeliktes voraus (Art. 269 Abs. 1 lit. a i.V.m. Abs. 2 StPO).
Soweit der dringende Tatverdacht auf den Zufallsfund gestützt wird, müssen die betreffenden Überwachungsergebnisse dem Zufallsfund-Betroffenen somit offengelegt werden. Auch muss überprüfbar sein, dass die früheren Überwachungen richterlich bewilligt wurden. Kein Anspruch besteht hingegen auf volle Einsicht in die übrigen Akten und Ergebnisse früherer Überwachungen gegen andere Zielpersonen. Folglich kann der vom Zufallsfund Betroffene die bereits richterlich genehmigten (Primär-) Überwachungen nicht nochmals vollständig aufrollen und selber anfechten. Geprüft wird vielmehr, ob die gesetzlichen Voraussetzungen der Verwendung des Zufallsfundes und der neuen Überwachung erfüllt sind (BGE 140 IV 40 E. 4.2-4.3 S. 43 f.; s.a. BGE 141 IV 459 E. 4.1 S. 461 f.; Urteil 1B_59/2014 vom 28. Juli 2014 E. 4.11; vgl. zu dieser Praxis Marc Forster, Marksteine der Bundesgerichtspraxis zur strafprozessualen Überwachung des digitalen Fernmeldeverkehrs, in: Festgabe Schweizerischer Juristentag 2015, Zürich 2015, S. 615 ff., 629-631; s.a. Thomas Hansjakob, Überwachungsrecht der Schweiz, Kommentar zu Art. 269 ff. StPO und zum BÜPF, Zürich 2018, Rz. 1128, 1173) [E. 3.4].