“in dubio” auch bei Prozessvoraussetzungen?

Ob “in dubio pro reo” auch für die Prozessvoraussetzungen gilt, hat das Bundesgericht in einem neuen Entscheid in Fünferbesetzung offen gelassen (BGer 6B_431/2010 vom 24.09.2010). Entschieden hat es dagegen, dass der Geschädigte im Bereich der Strafantragsfrist (Art. 31 StGB) nicht beweisen muss, von Tat und Täter nicht vor einem bestimmten Zeitpunkt Kenntnis erlangt zu haben.

Gemäss überwiegender Lehre ist der Grundsatz “in dubio pro reo” auch im Bereich der Prozessvoraussetzungen anwendbar (…). Es ist danach beispielsweise Sache der Anklagebehörde respektive des Gerichts, das Vorliegen eines gültigen Strafantrags nachzuweisen. Bestehen erhebliche Zweifel an dessen Gültigkeit, darf keine Verurteilung erfolgen. Ob die Unschuldsvermutung (darüber hinaus) als Beweislastregel zur Folge hat, dass der Antragsteller nachweisen muss, von Tat und Täter nicht vor einem bestimmten Zeitpunkt Kenntnis erlangt zu haben, wird in der Lehre, soweit diese Frage überhaupt aufgeworfen wird, verneint. Damit wird ihr sachlicher Geltungsbereich drastisch verkleinert und auf hier nicht relevante Aspekte (wie Zeitpunkt des Zugangs der Antragserklärung oder der Vollmachtserteilung) reduziert (…). Mithin kann offenbleiben, ob die Unschuldsvermutung im Bereich der Prozessvoraussetzungen generell anwendbar ist. Sie darf zumindest für die hier interessierende Frage, ob der Beschwerdegegner beweisen müsste, von Tat und Täter nicht vor einem bestimmten Zeitpunkt Kenntnis erlangt zu haben, auf jeden Fall nicht herangezogen werden (E. 2.3.2).

Im Bereich der Strafantragsfrist gilt demnach das Bisherige:

Im Zweifel gelte die Frist als eingehalten, wenn keine ernsthaften Anhaltspunkte dafür vorlägen, dass dem Antragsberechtigten Tat und Täter schon früher bekannt gewesen seien (BGE 97 I 769 E. 3 S. 774 f.). Diese Praxis wurde mit Urteil 6B_867/2009 vom 3. Dezember 2009 bestätigt (E. 2.3.3).