In dubio contra reum?

Das Bundesgericht heisst eine “in dubio”-Beschwerde der Luzerner Staatsanwaltschaft gegen einen Angeklagten gut (BGer 6B_236/2008 vom 01.09.2008). Die beschwerdeführende Staatsanwaltschaft machte geltend, die Vorinstanz habe dem Beschwerdeführer zu Unrecht den Strafmilderungsgrund der Notwehr zugestanden. Er müsse wesentlich härter bestraft werden.

Im theoretischen Teil führt der Entscheid folgendes aus:

 Aus der in Art. 32 Abs. 1 BV und Art. 6 Ziff. 2 EMRK verankerten Unschuldsvermutung wird die Rechtsregel “in dubio pro reo” abgeleitet. Als Beweiswürdigungsregel besagt sie, dass sich der Strafrichter nicht von einem für den Angeklagten ungünstigen Sachverhalt überzeugt erklären darf, wenn bei objektiver Betrachtung Zweifel bestehen, ob sich der Sachverhalt so verwirklicht hat. Bei der Frage, ob angesichts des willkürfreien Beweisergebnisses erhebliche und nicht zu unterdrückende Zweifel hätten bejaht werden müssen und sich der Sachrichter von dem für den Angeklagten ungünstigen Sachverhalt nicht hätte überzeugt erklären dürfen, greift das Bundesgericht nur mit Zurückhaltung ein, da der Sachrichter diese Frage in Anwendung des Unmittelbarkeitsprinzips zuverlässiger beantworten kann (vgl. BGE 127 I 38 E. 2a S. 40 f., mit Hinweisen). Das Bundesgericht prüft Fragen der Beweiswürdigung nur auf Willkür hin. Willkürlich ist eine Tatsachenfeststellung, wenn der Richter den Sinn und die Tragweite eines Beweismittels offensichtlich verkennt, wenn er ein solches ohne ernsthafte Gründe ausser Acht lässt, obwohl es erheblich ist, und schliesslich, wenn er aus getroffenen Beweiserhebungen unhaltbare Schlüsse zieht (BGE 129 I 8 E. 2.1 S. 9, mit Hinweisen) (E. 3.1, Hervorhebungen durch mich).

Dem praktischen Teil des Entscheids ist folgende Erwägung zu entnehmen:

Was den Fundort des Zigarettenpäckchens betrifft, so ist aus dem vorinstanzlichen Urteil nicht ersichtlich, weshalb dieses zwingend mit dem Ziehen der Waffe zu Boden fiel, worauf die Beschwerdeführerin zu Recht hinweist. Es wäre ohne weiteres denkbar, dass die Zigaretten aus einem anderen Grund, durch eine andere Bewegung, an den Fundort gelangten (E. 3.2.5).

Oft genug wird eine solche Rüge mit der Formel zurückgewiesen, nach der es eben nicht reiche, der Sachverhaltsdarstellung der Vorinstanz seine eigene Version gegenüberzustellen. Hier hat es gereicht. Ich hoffe nicht, dass das Bundesgericht bei Beschwerden von öffentlichen Anklägern einen tieferen Massstab ansetzt, muss es aber fast befürchten. Dagegen spricht ein Entscheid aus einem früheren Beitrag.

Das Grundproblem ist ein anderes. Ich verstehe nicht, wieso sich die Staatsanwaltschaft auf verfassungsmässige Rechte des Angeklagten berufen können soll, um ein für ihn ungünstigeres Ergebnis zu erwirken (vgl. dazu BGE 134 IV 36 E. 1.4; Art. 81 Abs. 1 lit. b Ziff. 3 BGG sowie einen früheren Beitrag).

Hier die Regeste des zitierten BGE:

Art. 81 und 95-98 BGG; Beschwerderecht und Rügemöglichkeiten der Staatsanwaltschaft. Voraussetzung der Verfahrensteilnahme vor Vorinstanz gemäss Art. 81 Abs. 1 lit. a BGG in Bezug auf die Staatsanwaltschaft (E. 1.3). Der Staatsanwaltschaft steht das Beschwerderecht in Strafsachen nach Art. 81 Abs. 1 lit. b Ziff. 3 BGG ohne Einschränkung zu. Sie kann alle Beschwerdegründe nach Art. 95-98 BGG vorbringen (E. 1.4).