In dubio pro duriore

In BGer 6B_588/2007 vom 11.04.2008 äussert sich das Bundesgericht in Fünferbesetzung zu mehreren Fragen von grundsätzlicher Bedeutung. Im Ergebnis kassiert das Bundesgericht ein Urteil der Beschwerdekammer des Obergerichts des Kantons Solothurn. Die Beschwerdekammer hatte einen Einstellungsentscheid der Staatsanwaltschaft zu Unrecht geschützt. Sowohl die Hauptbegründung als auch die Eventualbegründung der Beschwerdekammer qualifiziert das Bundesgericht als willkürlich.

In formeller Hinsicht war zu klären, ob der Ehemann, der seine Ehefrau wegen Verabreichens gesundheitsgefährdender Stoffe an die gemeinsamen Kinder (Art. 136 StGB) angezeigt hatte, überhaupt zur Beschwerde legitimiert ist. Das Bundesgericht knüpft an BGE 129 IV 216 (E. 1.2.2) an und bejaht die Legitimation des Vaters, und zwar ausdrücklich aus eigenem Recht.

Zu der von Art. 28 ZGB geschützten Persönlichkeit gehört auch das Gefühlsleben der natürlichen Person, welches die Beziehung zu den eigenen Kindern einschliesst (…). Jüngst entschied das Bundesgericht, dass ein Vater in seinen emotionalen Persönlichkeitsinteressen betroffen sein könne, wenn seine unter der elterlichen Sorge der Mutter lebenden Kinder nicht mit dem gesetzlichen Familiennamen bezeichnet werden (…). Wenn das Persönlichkeitsrecht des Vaters durch die Benennung seiner Kinder beeinträchtigt werden kann, scheint auch nicht ausgeschlossen, dass ein Vater mutmasslich misshandelter Kinder in eigenen (emotionalen) Persönlichkeitsinteressen betroffen ist (…). Eigene Zivilansprüche des Beschwerdeführers erscheinen damit genügend wahrscheinlich, um die Beschwerdelegitimation zu bejahen (1.2.5).
In der Folge zerfetzt das Bundesgericht das Urteil der Vorinstanz (vgl. dazu E. 2 und 3). Hinzuweisen ist auf die theoretischen Ausführungen über die Voraussetzungen für die Einstellung eines Strafverfahrens:
Bei den verschiedenen von der Vorinstanz unter Berufung auf die Literatur aufgeführten Einstellungsmotiven geht es abgesehen von der Einstellung aus Opportunitätserwägungen um Gründe, die ‘mit Sicherheit oder doch grösster Wahrscheinlichkeit zu einem Freispruch oder einer in den Wirkungen gleichen Erledigung vor Gericht führen müssten’ (…). Aus dem Umstand, dass eingestellt werden muss, wenn eine Verurteilung mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit ausgeschlossen ist, folgt nicht, dass erst bei derart hoher Wahrscheinlichkeit eingestellt werden darf. Ein solcher Massstab wäre zu streng und würde dazu führen, dass selbst bei geringer Wahrscheinlichkeit einer Verurteilung ein Anklagezwang bestünde. Verlangt wird lediglich, im Zweifel Anklage zu erheben resp. zu überweisen. Als praktischer Richtwert kann daher gelten, dass Anklage erhoben werden muss, wenn eine Verurteilung wahrscheinlicher erscheint als ein Freispruch. Dahinter steckt die Überlegung, dass bei nicht eindeutiger Beweislage nicht die Untersuchungs- oder Anklagebehörden, sondern die für die materielle Beurteilung zuständigen Gerichte über einen Vorwurf entscheiden sollen. Bei der Anklageerhebung gilt daher der auf die gerichtliche Beweiswürdigung zugeschnittene Grundsatz ‘in dubio pro reo’ nicht. Vielmehr ist nach der Maxime ‘in dubio pro duriore’ im Zweifelsfall (wegen des schwereren Delikts) Anklage zu erheben (…). Der Grundsatz, dass im Zweifelsfall nicht eingestellt werden darf, ist auch bei der gerichtlichen Überprüfung von Einstellungsverfügungen zu beachten (E. 3.2.3, Hervorhebungen durch mich).
Schliesslich äussert sich das Bundesgericht ungewöhnlich ausführlich über die Gerichtskosten, die Parteientschädigungen und die unentgeltliche Rechtspflege. 

Offenbar ist der Entscheid nicht zur BGE-Publikation vorgesehen, was schwer verständlich ist.