in dubio pro duriore

Das Bundesgericht kassiert eine unter kantonalem Strafprozessrecht ergangene Einstellungsverfügung und zieht in der Begründung auch das neue Schweizerische Strafprozessrecht hinzu, welches den ungeschriebenen Grundsatz “in dubio pro duriore” kenne (BGE 1B_123/2011 vom 11.07.2011, Zur Publikation in der AS vorgesehen).

Auch für das neue Recht relevant sind etwa folgende Ausführungen des Bundesgerichts:

Bei der Frage, ob ein Strafverfahren über eine (definitive) Verfahrenseinstellung durch die Untersuchungsbehörde erledigt werden kann, gilt im schweizerischen Strafprozessrecht der Grundsatz “in dubio pro duriore”. Danach darf eine Einstellung durch die Staatsanwaltschaft nur bei klarer Straflosigkeit bzw. offensichtlich fehlenden Prozessvoraussetzungen verfügt werden (Urteile des Bundesgerichtes 1B_46/2011 vom 1. Juni 2011 E. 4; 1B_1/2011 vom 20. April 2011 E. 4; 6B_588/2007 vom 11. April 2008 E. 3.2.3 = Pra 2008 Nr. 123; vgl. HAUSER/SCHWERI/ HARTMANN, Schweizerisches Strafprozessrecht, 6. Aufl., Basel 2005, § 78 Rz. 9; NIKLAUS OBERHOLZER, Grundzüge des Strafprozessrechts, 2. Aufl., Bern 2005, Rz. 1375; NIKLAUS SCHMID, Strafprozessrecht, 4. Aufl., Zürich 2004, Rz. 797) (E. 7.1).

Für das neue Recht leitet das Bundesgericht “in dubio pro duriore” indirekt aus dem Gesetzestext ab, allerdings ohne näher darauf einzugehen:

Auch nach neuer Eidg. StPO gilt der Grundsatz “im Zweifel für die Anklageerhebung” bzw. “in dubio pro duriore”, der zwar – wie nach bisherigem Luzerner Strafprozessrecht – nicht ausdrücklich im Gesetz geregelt ist, sich aber indirekt aus Art. 324 Abs. 1 i.V.m. Art. 319 Abs. 1 StPO ergibt (vgl. Botschaft StPO, BBl 2006 S. 1273; Rolf Grädel/Matthias Heiniger, in: Basler Kommentar StPO, Basel 2011, Art. 319 N. 8-11; Nathan Landshut, in: Zürcher Kommentar StPO, Zürich 2010, Art. 324 N. 5; Robert Roth, in: CPP, Commentaire Romand, Basel 2011, Art. 319 N. 5; Niklaus Schmid, Praxiskommentar StPO, Zürich 2009, Art. 319 N. 5) (E. 7.2).

Art. 324 StPO verpflichtet die Staatsanwaltschaft Anklage zu erheben, wenn sie die Verdachtsgründe als “hinreichend” erachtet (und keinen Strafbefehl erlassen kann). Art. 319 Abs. 1 StPO zählt die Einstellungsgründe auf. Dazu gehört auch der nicht erhärtete Tatverdacht. Es ist nach dem Gesetzestext eigentlich klar, dass der Entscheid über Einstellung oder Anklageerhebung am Grad des Tatverdachts auszurichten ist. Selbst ein Tatverdacht im Sinne von Art. 309 Abs. 1 lit. a StPO, der sich in der Untersuchung nicht erhärten liess, der aber auch nicht ausgeräumt werden konnte, kann somit jedenfalls nach dem Wortlaut des Gesetzes zur Einstellung führen – jedenfalls solange die Staatsanwaltschaft den Tatverdacht nicht als “hinreichend” qualifiziert. Der ungeschriebene Grundsatz “in dubio pro duriore” erweist sich bei näherer Betrachtung als wenig hilfreich. Er dürfte letztlich nur Anwendung finden, wenn die Staatsanwaltschaft nicht sicher ist, ob der Tatverdacht nun schon hinreichend ist oder nicht.

s. zum BGE auch fel auf NZZonline.