IS-Urteil online
Die erste Verurteilung nach dem Bundesgesetz über das Verbot der Gruppierungen “Al-Qaïda” und “Islamischer Staat” sowie verwandter Organisationen vom 12. Dezember 2014 (SR 122) ist online. Das Urteil stammt vom Einzelrichter am Bundesstrafgericht (SK.2016.90 vom 15.07.2016). Der Schuldspruch hat mich bekanntlich überrascht. Nach Durchsicht des Entscheids bin ich nicht sicher, ob er wirklich richtig sein kann.
Das Beweisergebnis wird wie folgt zusammengefasst:
1.9 Als zusammengefasstes Ergebnis der aufgelisteten Indizien steht in objektiver Hinsicht fest, dass der Beschuldigte sich dem durch den IS geführten Jihad in Syrien anschliessen wollte und seinen Entschluss so weit vorangetrieben hatte, dass ihn nur noch das Eingreifen der Polizei am Abflug in Richtung Syrien hinderte. Die Reiseabsicht bis nach Syrien ins Kampfgebiet gibt der Beschuldigte zu, hingegen bestreitet er die Absicht, sich einer Organisation anzuschliessen. Seine Kontakte lassen jedoch keine Zweifel offen, dass er sich einer Organisation zur Verfügung stellte. Seine zahlreichen Internet-Recherchen lassen keine Zweifel offen, dass es sich dabei um den IS handelte. Nicht beweisbar ist, ob er sich als Kämpfer oder als Logistiker betätigen wollte. Sein Verhalten indiziert diesbezügliche Offenheit seinerseits.
1.10 Aufgrund der von ihm heruntergeladenen Seiten und als Folgerung aus Gesprächen (…) ist klar, dass er wusste, welche Mittel der IS zur Verfolgung seiner Ziele einsetzt und auf was er (der Beschuldigte) sich einliess. Aus einem Chat vom 28. November 2014 mit seiner Freundin B. geht hervor, dass er wusste, dass ihm bei einer Anzeige wegen Beteiligung am Jihad bis fünf Jahre Freiheitsstrafe drohen (…). Am 26. März 2015 sagte er dem H., dass er vielleicht bald im Gefängnis sein werde (…).
Und wieso soll das nun strafbar sein?
Art. 2 Abs. 1 des Al-Qaïda/IS-Gesetzes fordert in der Variante des “personellen und materiellen Unterstützens” im Unterschied zu Art. 260 ter Ziff. 1 Abs. 2 StGB vom Unterstützer nicht ausdrücklich ein Fördern der verbrecherischen Zwecke der kriminellen Organisation. Wie aus der Botschaft des Bundesrats zum Gesetz hervorgeht, bezweckt dieses vor allem das Verbot von Al-Qaïda, IS und ähnlichen Organisationen. Was den IS betrifft, stellt der Bundesrat fest, seine Tätigkeit manifestiere sich in einer aggressiven Propaganda und könne Einzelpersonen zu Anschlägen wie jenem im jüdischen Museum von Brüssel am 24. Mai 2014 motivieren. So gehe auch die grösste Bedrohung für die Schweiz derzeit von kampferprobten Rückkehrern sowie radikalisierten, in der Schweiz gebliebenen Einzeltätern aus (BBl 2014 8925, 8928).
Wenn die radikalisierende propagandistische Wirkung auf – unter Umständen sogar in der Schweiz gebliebene – Einzelpersonen sinngemäss als Kampfmittel der Organisation IS und demzufolge als von dieser ausgehende Gefahr bezeichnet wird, so ist der IS in seiner verbrecherischen Tätigkeit spätestens dann gefördert, wenn sich jemand von ihm so beeinflussen lässt, dass er dessen Propaganda in objektiv erkennbarer Weise bewusst weiterverbreitet oder sich im vom IS propagierten Sinn gezielt aktiv verhält. Weil jedes entsprechende Verhalten die (Weiter-)Existenz des IS bejaht und bereits damit automatisch dessen verbrecherische Tätigkeit fördert, ist jedes solche Verhalten sowohl tatbestandsmässig nach Art. 2 Abs. 1 Al-Qaïda/IS-Gesetz als auch tatbestandsmässig als Unterstützung einer kriminellen Organisation gemäss Art. 260 ter Ziff. 1 Abs. 2StGB. Siehe auch Leu/Parvex, a.a.O. S. 760 ff. (E. 1.14.2, Hervorhebungen durch mich).
Und im konkreten Fall?
Der Beschuldigte hat seine Reise mit dem geschilderten Wissen und Willen (Vorsatz) bis unmittelbar zum Besteigen des Flugzeugs so weit vorangetrieben, dass er es völlig in fremde, und wegen des geschlossenen Transportvertrags hierzu verpflichtete, Hände (nämlich jene der Fluggesellschaft) gelegt hatte, ihn nach Istanbul zu bringen. Er war nicht bloss reisewillig sondern beim Besteigen des Flugzeugs bereits auf der Reise. Nur das Eingreifen der Polizei hat seinen Abflug verhindert. Die von Jihadreisenden erhaltenen Informationen (vorne E. 1.3.4 und 1.4) sowie der Chat vom 28. November 2014 mit seiner Freundin B. (vorne E. 1.3.5) sind untrügliche Indizien dafür, dass Istanbul nicht sein Ferienziel sondern lediglich Zwischenstation für die Weiterreise nach Syrien in den Jihad war. Auch wenn nicht völlig auszuschliessen ist, dass er seine Pläne unterwegs aus eigenem Antrieb noch hätte ändern können, ist eine solche mögliche Entwicklung sehr theoretischer Natur. Nichts deutet auch nur im Geringsten darauf hin, dass er sowas je in Erwägung gezogen hätte, und durch seine regen Kontakte zu bereits gereisten Kollegen schuf er auch eine psychologische Barriere, die einen Rückzug ernsthaft erschwerte. Der Umstand, dass er seinen Weg ungeachtet einer zurückgelassenen schwangeren Freundin antrat, bekräftigt seine Entschlossenheit.
Für zurückgebliebene potenzielle Interessenten stieg er mit seiner Abreise in die Kategorie der Handelnden und somit der zu Bewundernden, auf. Damit rückt das Verhalten des Beschuldigten – insbesondere das für die Beurteilung wegen der zeitlichen Eingrenzung der Anklage allein massgebliche Verhalten in der Zeit vom 5. bis zum 7. April 2015 – in objektiver und subjektiver Hinsicht so nahe an das verbrecherische Verhalten des IS, dass er damit im Anklagezeitraum, handelnd in der Schweiz, den IS im Sinne des Art. 2 Abs. 1 Al-Qaïda/IS-Gesetz gefördert hat. Bei gegebener Sachlage kann auch – mit einem Seitenblick auf die Regelung von Art. 260 bis Abs. 2 StGB (Straflosigkeit der strafbaren Vorbereitungshandlungen bei Abbruch aus eigenem Antrieb) – die Frage offen bleiben, welche Rechtsfolge eingetreten wäre, wenn der Beschuldigte seine Reise unterwegs abgebrochen hätte. Er hat den entsprechenden Straftatbestand erfüllt und ist schuldig zu sprechen (E. 1.18).
Er hätte damit auch dann verurteilt werden können, wenn er noch nicht einmal gepackt hätte, oder? Das ist von reinem Gesinnungsstrafrecht für mich nicht mehr unterscheidbar.
Ich verstehe den Anlass Ihrer Frage ehrlich gesagt nicht ganz. Die massgebliche Handlung war laut dem Entscheid, dass er bereits auf der Reise war – genauer: das Flugzeug bestieg. Ob darin eine Unterstützungshandlung liegt, kann man wohl durchaus in Frage stellen. Aber mit Gesinnungsstrafrecht hat das so oder anders doch rein gar nichts zu tun.
Und zum Packen: Ich lese den Entscheid gerade so, dass das Packen eben noch nicht das sich auf eine Reise begeben ist (er ist dann ja noch nicht “in den Händen der Fluggesellschaft”). Die Frage, ob schon das Packen strafrechtlich relevant ist, wurde hier doch ganz bewusst offen gelassen und kann in so allgemeiner Form kaum beantwortet werden. Entscheidend ist ja ob dies irgendwie eine Aussenwirkung entfaltet, was als Unterstützungshandlung gewertet werden könnte. Das ist tatsächlich eine sehr problematische Frage. Den Vorwurf des Gesinnungsstrafrechts kann ich aus dem vorliegenden Entscheid aber nicht nachvollziehen.
Ich würde mir wünschen, diesen Beiträgen würden mehr erläuternde Gedanken und Argumente beigefügt statt heftige und oft polemische Vorwürfe oder wie hier suggestive Fragen. Sich mit Argumenten auseinanderzusetzen wäre nämlich spannender.
@Emmenegger: das würde ich mir auch wünschen. Mein Blog ist aber keine wissenschaftliche Publikation und wird nicht hauptberuflich betrieben.