“Journalist” wegen Hausfriedensbruchs ohne Quellenschutz
Im Entsiegelungsverfahren erhält nur Rechtsschutz, wer im Verfahren mitwirkt und seine “prozessualen Obliegenheiten” erfüllt. Dass gesetzlich geschützte Geheimnisse auch von Amts wegen zu beachten wären, zumal ja auch am Verfahren nicht beteiligte Dritte geschützt werden, wird weitgehend ausgeblendet. Die prozessualen Obliegenheiten dienen denn letztlich dazu den Entsiegelungsrichtern und den Strafverfolgern die Arbeit zu erleichtern (und bei näherer Betrachtung “fishing expeditions” zu schützen). Der Zweck der Mitwirkungsobliegenheiten wird immer dann deutlich, wenn der Umfang der versiegelten Daten gross ist.
In einem neuen Entscheid rekapituliert das Bundesgericht seine Rechtsprechung wie folgt (BGer 1B_550/2018 vom 06.08.2019):
Nach der bundesgerichtlichen Praxis trifft den Inhaber von zu Durchsuchungszwecken sichergestellten Aufzeichnungen und Gegenständen, der ein Siegelungsbegehren gestellt hat, die prozessuale Obliegenheit, die von ihm angerufenen Geheimhaltungsinteressen (im Sinne von Art. 248 Abs. 1 StPO) ausreichend zu substanziieren. Dies gilt besonders bei grossen Datenmengen. Kommt der Betroffene seiner Mitwirkungs- und Substanziierungsobliegenheit im Entsiegelungsverfahren nicht nach, ist das ZMG nicht gehalten, von Amtes wegen nach allfälligen materiellen Durchsuchungshindernissen zu forschen. Tangierte Geheimnisinteressen sind wenigstens kurz zu umschreiben und glaubhaft zu machen. Auch sind diejenigen Aufzeichnungen und Dateien konkret zu benennen, die dem Geheimnisschutz unterliegen. Dabei ist der Betroffene nicht gehalten, die angerufenen Geheimnisrechte bereits inhaltlich offenzulegen (BGE 142 IV 207 E. 7.1.5 S. 211, E. 11 S. 228; 141 IV 77 E. 4.3 S. 81, E. 5.5.3 S. 86, E. 5.6 S. 87; 138 IV 225 E. 7.1 S. 229; 137 IV 189 E. 4.2 S. 195, E. 5.3.3 S. 199; nicht amtl. publ. E. 6 von BGE 144 IV 74) [E. 2.3, Hervorhebungen durch mich].
Wie weit diese Obliegenheiten, die man nicht Pflichten nennen darf, gehen, weiss niemand. Die Rechtsprechung ist denn auch eher beliebig:
Mangels ausreichender Substanziierung von geschützten Geheimnisrechten durch den Beschwerdeführer war das ZMG im vorliegenden Fall nicht gehalten, von Amtes wegen sehr grosse Datenmengen zu durchsuchen, um selber nachzuforschen, wo sich allenfalls Korrespondenz mit dem SRF befinden könnte. Im Einklang mit der dargelegten Praxis durfte das ZMG somit auch die Kommunikationsgeräte entsiegeln und zur Durchsuchung an die Staatsanwaltschaft freigeben, was es (…) ausdrücklich verfügt hat (…). Daran ändert auch die (in Dispositiv Ziffer 4 Absatz 2 zusätzlich angefügte) Anweisung an die Staatsanwaltschaft nichts, dass diese nachträglich noch “geeignete Massnahmen” zur Wahrung des journalistischen Quellenschutzes zu treffen habe, falls bei der bewilligten Durchsuchung (Art. 246 StPO) noch nachträglich etwaige Korrespondenz mit dem SRF zum Vorschein käme (E. 2.3, Hervorhebungen durch mich).
Im Übrigen konnte sich der Betroffene als Beschuldigter ohnehin nicht auf den Quellenschutz berufen:
Wer seine eigenen mutmasslichen Straftaten auf Video (oder andere Bild- und Tonträger) aufnimmt, kann sich als Beschuldigter den (gegen ihn gerichteten) gesetzlichen Beweismassnahmen nicht mit dem Argument entziehen, er sei im gleichen Kontext auch “journalistisch tätig” gewesen (E. 3.4).
Geschützt gewesen wäre gemäss Bundesgericht lediglich die Korrespondenz mit SRF als Kunde des Betroffene. Diese Korrespondenz hat der Betroffene aber eben nicht hinreichend substantiiert (muss man denn noch mehr sagen als Korrespondenz mit SRF?). Die Staatsanwaltschaft muss nun gemäss Vorinstanz dafür sorgen, dass allfällige Korrespondenz durch “geeigneten Massnahmen” geschützt wird (s. oben). Diese Delegation ist aber keine “Delegation”:
Die verfahrensrechtliche Rüge, es sei eine bundesrechtswidrige “Delegation” der Entsiegelung bzw. Triage an die Staatsanwaltschaft erfolgt, erweist sich als unbegründet (E. 2.4).
“Personen, die sich beruflich mit der Veröffentlichung von Informationen im redaktionellen Teil eines periodisch erscheinenden Mediums befassen, sowie ihre Hilfspersonen können das Zeugnis über die Identität der Autorin oder des Autors oder über Inhalt und Quellen ihrer Informationen verweigern (Art. 172 Abs. 1 StPO).”, E3.1.
Aus aktuellem Anlass: Die daraus offenbar von diesem Gericht abgelesene Beschränkung auf berufliche Presseleute ist nicht zulässig, da in der Pressefreiheit, die jeder Schweizerin und jedem Schweizer zusteht, nicht die Presse als Organisation, sondern als Technologie gemeint ist.
Die Presse als Organisation ist durch ihren Fussabdruck vom Gewaltmonopol viel leichter zu kontrollieren als die Presse als Technologie. Eine Zensur findet nicht statt und ist auch nicht notwendig, da die Eigenzensur ausreicht: Mitarbeiter auch interkontinental gelesener grosser Zeitungen etwa erlauben sich aus Angst auch trotz ausdrücklich garantierter Pressefreiheit kaum frei, den tatsächlichen Inhaber des Gewaltmonopol zurechtzuweisen.
Ein richtiger Entscheid. Er ruft deutlich in Erinnerung, um was es im Entsiegelungsverfahren eigentlich geht: Es geht darum, in einem ersten kurzen Verfahren durch das Gericht die grossen schutzwürdigen Geheimnisse herausfiltern zu lassen und sie damit vor den Augen der Staatsanwaltschaft zu schützen. Dass dieser Schutz kein vollkommener Schutz sein kann, zeigt sich einerseits an der in Art. 248 StPO vorgesehene Fristenregelung, wonach das gerichtliche Entsiegelungsverfahren nach spätestens einem Monat abgeschlossen sein müsste. Andererseits zeigt sich dies an der in Art. 264 vorgesehenen Bestimmung zum Beschlagnahmeschutz, wonach ein Betroffener nach der verfügten Freigabe der gesiegelten Informationen zu jedem Zeitpunkt im weiteren Verfahren die Aussonderung von Beweismitteln verlangen kann.
Wer nun dieses kurze «Notverfahren» zu seinem Schutz anruft und (A) “Siegelung” sagt, muss entsprechend zwingend auch (B) sagen und die angerufenen Geheimhaltungsinteressen umgehend substantiieren. Der Betroffene muss hier – m.E. unabhängig vom Umfang der sichergestellten Daten – seinen Beitrag leisten, dass sich das Verfahren möglichst nicht verzögert. Immerhin wurde hier ja auch zu seinen Gunsten die Notbremse gezogen.
Sie schreiben, dass die prozessualen Obliegenheiten (also die Substantiierungspflicht der Betroffenen) letztendlich dazu dienten «den Entsiegelungsrichtern und den Strafverfolgern die Arbeit zu erleichtern (und bei näherer Betrachtung fishing expeditions zu schützen». Hier fehlen mir fast die Worte. Man darf (und sollte) der Staatsgewalt gegenüber misstrauisch sein. Im Kontext der Siegelung ist dies aber wenn überhaupt nur in sehr abgeschwächter Form nötig, denn zum Schutz legitimer Geheimhaltungsinteressen hat der Gesetzgeber mit Art. 264 ja wie bereits erwähnt sogar noch ein zweites Fangnetz für die Betroffenen eingebaut. Sollte nun also im ersten «Notverfahren» ein schützenswertes Geheimnis nicht im groben Filter beim Gericht hängen geblieben und im weiteren Verlauf dann doch in die Hände und unter die Augen des Staatsanwaltes gelangt sein, kann der Betroffene immer noch die Aussonderung dieses Beweisstückes verlangen.
Bei den offensichtlich mit einem Beweisverwertungsverbot belasteten Dokumenten und Daten (bspw. Anwaltskorrespondenz) wird es hierzu übrigens gar nie kommen, weil der Staatsanwalt solche «Fundstücke» von sich aus aussondern bzw. nicht als Beweismittel ins Verfahren einbringen wird. Das geschieht übrigens immer wieder und ist dabei kein ausserordentliches Ereignis.
Wehrt sich der Staatsanwalt gegen das Begehren um Aussonderung, entscheidet das Gericht. Diesmal aber mit weniger Zeitdruck (da es sich in der Regel dann nur um wenige Daten bzw. Dokumente handelt) und entsprechend mit einem sehr viel feineren «Filter». Der Schutz legitimer Geheimhaltungsinteressen ist durch die StPO garantiert.
Wer nun verlangt, dass im ersten «Notverfahren» in sichergestellten Daten und Papieren von Amtes wegen nach allfälligen materiellen Durchsuchungshindernissen zu forschen sei übersieht, dass der Schutz im Entsiegelungsverfahren – auch bei wochen- oder monatelangem Durchforsten von Millionen von Dateien – nie vollkommen sein kann und dass ein solcher totaler Schutz vom Gesetzgeber in diesem Stadium auch gar nie vorgesehen war.
Wer eine solche Forderung in den Raum stellt, muss sich dem Vorwurf aussetzen, denjenigen weitere Argumente zu liefern, die das Instrument der Siegelung bereits seines ursprünglichen Schutzzweckes beraubt haben und nur noch für unlautere, verfahrensverzögernde Zwecke missbrauchen.
Zu fordern wäre stattdessen vielmehr, dass die Gerichte dem ursprünglichen Zweck dieses sinnvollen Schnellverfahrens durch geeignete Massnahmen nachleben und den unsäglichen Verzögerungstaktiken der Verfahrensbeteiligten selbstbewusst einen Riegel schieben. Mit der jetzigen Situation, wo Entsiegelungsverfahren nicht selten über ein Jahr dauern und dabei in hohem Masse Ressourcen der Untersuchungsbehörde binden, lassen sich Strafuntersuchungen ohne Weiteres lahmlegen und (zer)stören. Da ist doch etwas schiefgelaufen, oder sehen Sie das anders?
@Aussonderer: Ihr Verständnis kann – allenfalls mit Ausnahme der Verteidigerkorrespondenz – auf das ZMG verzichten. Das ist aber nicht das, was das Gesetz vorsieht. Wäre die Staatsanwaltschaft wirklich gezwungen, den Tatverdacht zu spezifizieren und auch erklären zu müssen, wieso sie welche Informationen auf den sicherzustellenden Datenträgern vermutet, wären unsere Positionen wohl nicht weit auseinander. Heute ist es aber je länger je öfter so, dass einfach alles sichergestellt wird, was an elektronischen Aufzeichnungen vorhanden ist. Und dann soll der Betroffene spezifizieren, wo genau die geheimnisgeschützten Daten gespeichert sind. Versuchen Sie das mal.
Es gibt Kantone, die das Ganze mehr oder weniger sauber lösen und über ZMG verfügen, die ihren Job machen. Die überwiegende Mehrheit macht das aber bereits mangels Ressourcen nicht. Die Mehrheit der ZMG winkt jedes Entsiegelungsgesuch durch und überlässt es der eigenverantwortlichen Staatsanwaltschaft, das auszusondern, was sie nicht braucht bzw. was sie nicht sehen dürfte. Das ist sicher nicht die Lösung.
Und noch was: Ein Staatsanwalt weiss ja hoffentlich, dass seine Sicherstellungen gesiegelt werden. Die Verfahrensverzögerung ist dann nicht dramatisch, wenn er gezielt sagt, was er sucht und nicht einfach die Schrotflinte abfeuert und jeden USB-Stick auch noch mitnimmt.
In meinen Untersuchungen in den offenen Datenbanken sehe ich immer wieder Fälle (Beschwerden die abgewiesen werden) wo die zuständigen Zwangsmassnahmengerichte nicht eintreten oder abweisen weil nicht innert sehr kurzer Frist (einige Stunden oder einige Tage) Siegelungen gestellt oder nicht glaubhaft genommen werden. Von Verfahrensverschleppungen lese ich kaum was. In Anbetracht das es in ihrem Schweizer Recht überhaupt nichts festes zur “Glaubhaftigkeit” gibt obwohl darüber überall geschrieben wird (was ist den Glaubhaftmachung im Schweizer Strafprozess? oder überhaupt in der Schweiz )) und in der Praxis wohl kaum je eine Person aus dem Stand (bei der heutigen Datenflut) zu den einzelnen sichergestellten (oder schon beschlagnahmten? auch nicht ganz klar was im Schweizer Strafprozess die rechtliche Grundlage der Wegnahme bildet) Positionen Auskunft (!) geben kann (Was ist den auf der Festplatte X des B? meine Krankenakte oder doch Steuerunterlagen von C zbs.?). Der Fall Robartin gegen Österreich zeigte ja ausführlich auf was eine Nation einzurichten hat um den prozessualen Schutz der Rechte der Betroffenen bei Datensätzen zu schützen hat. Und es ist auch klar wieso Österreich im Fall Robartin gegen Österreich unterlag. Es liegt an den Strafverfolgungsbehörden oder an einer überprüfenden Instanz zu erklären wieso die Beschlagnahme/Sicherstellung eines Datenträgers relevant ist für den Strafprozess. Nicht umgekehrt. Ich bin gespannt wann so ein Fall vor dem EGMR landet und ob der EGMR dann ihr Siegelungsrecht als ausreichenden Schutz bezeichnen wird.
Ich wundere mich schon über die Naivitöt bestimmt Hardcore Tierschützer “Journalisten”.
Das Quellenmaterial in der eigenen Wohnung aufbewahren. Nun ja. Ein gefundenes Fressen und nicht zur Nachahmung empfohlen. In Zeiten von CH-DDR-Justiz braucht es eben auch entsprechende Verteidigungsmassnahmen.
Der heutige Journalismus ist auch nicht mehr der qualitative Journalismus den man für einen gesunden Staat braucht. Ich halte sehr viele Journalisten für fachlich überfordert und ihnen ist die Tragweite ihres Berufes oft überhaupt nicht klar. S