Jugend- oder Erwachsenenstrafprozess?

Delinquiert eine Person vor und nach ihrem 18. Geburtstag stellt sich die Frage, ob ihre Strafbarkeit im Jugend- oder im Erwachsenenstrafprozess abzuklären ist (“gemischte Fälle”, Art. 3 JStG).

Das Bundesgericht stellt die gesetzliche Regelung wie folgt dar:

Sinn und Zweck des Gesetzes ist es, in “gemischten Fällen” eine sachfragenorientierte, differenzierte und verfahrenseffiziente Lösung anzustreben, anstatt pauschal und nach einem starren Kriterium entweder das Sanktionsrecht des StGB bzw. das Verfahrensrecht für Erwachsene oder das JStG bzw. das Jugendstrafprozessrecht für anwendbar zu erklären. Die aus dem deutsch- und französischsprachigen Gesetzestext (und aus den Materialien) sich ergebende Grundregel erscheint sachgerecht und dient auch der Verfahrenseffizienz. Ein Jugendstrafverfahren, das vor Bekanntwerden von Straftaten eingeleitet wurde, die nach Vollendung des 18. Altersjahr verübt wurden, bleibt zwar grundsätzlich anwendbar (Art. 3 Abs. 2 Satz 4 JStG). Für die Festlegung von Strafen (auch von Zusatzstrafen für Straftaten, die vor der Volljährigkeit verübt wurden) ist jedoch ausschliesslich das StGB massgeblich (Art. 3 Abs. 2 Sätze 1-2 JStG). Eine Ausnahme von der ausschliesslichen Anwendbarkeit des StGB greift Platz, wenn der Täter einer Massnahme bedarf; in diesem Fall ist diejenige Massnahme nach dem StGB oder nach dem JStG anzuordnen, die nach den Umständen erforderlich ist (Art. 3 Abs. 2 Satz 3 JStG) (E. 5.3).

Im vorliegenden Fall (beide Fälle in der Zuständigkeit der Jugendstrafbehörden) weist das Bundesgericht die Beschwerde der Staatsanwaltschaft ab (BGE 1B_325/2008 vom 09.06.2009, BGE-Publikation):

Nach dem Gesagten hält der angefochtene Entscheid, der den vorliegenden “gemischten Fall” dem Jugendermittlungsrichter zur Weiterführung des Jugendstrafverfahrens zuweist, vor dem Bundesrecht stand. Es kann offen bleiben, ob dem Angeschuldigten im Falle einer Verurteilung eine Massnahme oder eine Freiheitsstrafe droht (E. 5.4, Hervorhebungen durch mich).

Das gilt jedenfalls bis zu einer Neuregelung durch den Gesetzgeber:

Bis zum Erlass einer konsistenteren gesetzlichen Regelung ist die Gerichtspraxis gehalten, auslegungsweise (und nötigenfalls durch Lückenfüllung) für sachgerechte Lösungen zu sorgen. Im vorliegenden Fall erweist sich die Beibehaltung des eingeleiteten Jugendstrafprozesses als sinnvoll und gesetzeskonform (E. 5.3).