Kein Anspruch auf Zustellung von Akten
Nach wie vor gibt es Kantone, welche sich in Haftanordnungsverfahren weigern, der Verteidigung die Haftakten zuzustellen und sie zu zwingen, sie vor Ort einzusehen und allenfalls vor Ort Kopien anzufertigen. Dass dies ein kontradiktorisch zu führendes Haftverfahren stört und mitunter aufgrund der kurzen Fristen verunmöglicht, ist der Justiz scheinbar nur Recht, leider auch dem Bundesgericht (BGer 1B_268/2023 vom 12.06.2023), das u.a. folgende Erwägung publiziert:
Ein Anspruch auf digitale Aktenführung respektive elektronische Zustellung der Verfahrensakten kann entgegen der Ansicht des Beschwerdeführers auch nicht daraus abgeleitet werden, dass gemäss Art. 102 Abs. 2 StPO den Rechtsbeiständen der Parteien die Akten “in der Regel” zugestellt werden. Das Bundesgericht hat bereits wiederholt festgehalten, dass dieser Anspruch nicht absolut ist und ausnahmsweise auch die Rechtsbeistände der Parteien zur Einsichtnahme der Akten bei der Strafbehörde eingeladen werden können (Urteile 6B_854/2018 vom 23. Oktober 2018 E. 4.1; 1B_252/2017 vom 21. Februar 2018 E. 2.2). Diesbezüglich wurde in der Botschaft zur Vereinheitlichung des Strafprozessrechts ausdrücklich festgehalten, dass eine Abweichung von der Regel namentlich in Haftfällen, wenn das Gericht die Akten selbst dringend benötige, gerechtfertigt sein könnte (BBl 2006 1148 ff., S. 1162) [E. 3.4.1].
Zum Glück sehen das die meisten Kantone weniger eng. Oft stellt sogar die Staatsanwaltschaft der Verteidigung mit dem Haftantrag auch gleich die Haftakten elektronisch zu (Faxzustellung erfolgt heute übrigens ebenfalls digital, was nicht bekannt zu sein scheint). was an sich einer Grundvoraussetzung wirksamer Verteidigung entspricht. Im Kanton Zürich ist die Aktenzustellung weiterhin die Ausnahme (die es immerhin auch gibt) und das macht auch Sinn, zumal im Kanton Zürich Haftanträge ohnehin gutgeheissen werden, woran auch die beste Verteidigung mit voller Aktenkenntnis und genügend Zeit zur fundierten Stellungnahme nichts ändert.
Also, liebe Strafverteidigerinnen und Strafverteidiger, findet Euch doch einfach damit ab, dass Ihr höchstens als Feigenblätter taugt.
Finde ich eine prima Überlegung vom BGer, dass die Verteidigung eine Fristerstreckung verlangen könne, welche für das ZMG keine nennenswerte Nachteile bringe, da es in der Zeit der
erstreckten Frist den Entscheid redigieren könne …
Zur Klarstellung: Dies ist nicht der Standard. In der Regel erhält der Verteidiger – auf Wunsch – die gesamten Akten elektronisch von der Staatsanwaltschaft. Diese gehen in der Regel auch digital ans ZMG.
“Also, liebe Strafverteidigerinnen und Strafverteidiger, findet Euch doch einfach damit ab, dass Ihr höchstens als Feigenblätter taugt.” Na ja, aber Feigenblätter, die sich wenn immer möglich vor dem Gang des Strafverfahren auf den Boden kleben…
@pk: den verstehe ich jetzt nicht.
Die digitale Kommunikation zwischen Verfahrensbeteiligten hat auch seine Grenzen. Gefährlich wird es, wenn Staatsanwaltschaft und das Gericht gemeinsam informell verfahrensbezogene Korrespondenz und anderweitige Dokumente im Geheimen austauschen und die anderen Akteure nicht einbezieht – auch nicht die beschuldigte Person. Noch gefährlicher wird es, wenn der geheime informelle Kanal zwischen Staatsanwaltschaft und Gericht dazu genutzt wird, um das Verfahren ohne Einbezug der anderen Parteien verfahrensbezogen zu gestalten, damit man dann das gewünschte Urteil erhält…
@Andrea: kann man doch auch analog.
…sorry, von was sprechen Sie da?
Es gibt genau 2 Möglichkeiten: entweder setzt die StA die Verteidigung bei der elektronischen Zustellung des Haftantrags (inkl. Beilagen) direkt in Kopie oder das ZMG stellt diese Unterlagen direkt nach Eingang der Verteidigung elektronisch zu (bzw. leitet das Email genau so weiter). So einfach ist das…alle Akten, die die StA beim ZMG einreicht, werden der Verteidigung zugestellt.
Man sollte keine Probleme suchen, wo es keine gibt…
Es liegt absolut nicht im interesse eines gerichts, eingereichte akten einer partei vorzuenthalten. Darum gings hier ja auch nicht. Es ging lediglich darum, in welcher form die akten darzureichen sind und insbesondere, ob akten digital herausgegeben werden müssen. Das hat das bg mit zutreffender begründung verneint. Oder mit anderen worten: Dass in vielen fällen elektronisch verkehrt wird, ist sicher sinnvoll und wird, wenn immer mit zumutbarem aufwand möglich, ermöglicht, ein anspruch darauf besteht (aktuell) aber noch nicht. Kann man ganz schlecht finden, ist aber so.