Kein Rechtsmittel gegen vorläufige Festnahme

Ein Demonstrant wurde im Januar 2012 anlässlich einer unbewilligten Kundgebung in Bern verhaftet und gleichentags wieder freigelassen (vorläufige Festnahme nach Art. 217 StPO). Er verlangte bei der kantonalen Beschwerdeinstanz die Feststellung der Unrechtmässigkeit der Haft sowie eine Genugtuung. Die Beschwerdekammer trat mangels aktuellen praktischen Rechtsschutzinteresses und öffentlichen Intereresses nicht ein. Das Bundesgericht bestätigt den Nichteintretensenscheid (BGer 1B_351/2012 vom 20.09.2012). Es versagt dem Beschwerdefürer wie schon nach seiner Rechtsprechung zum bisherigen Recht ein aktuelles praktisches Rechtsschutzinteresse im Sinne von Art. 382 Abs. 1 StPO. Der Beschwerdeführer kann seine Ansprüche im laufenden Strafverfahren geltend machen.

Dem Beschwerdeführer bleibt damit das Recht gewahrt, sämtlichen im vorliegenden Verfahren vorgebrachten Rügen bei Abschluss des Strafverfahrens Gehör zu verschaffen. Insbesondere kann er zum gegebenen Zeitpunkt die vor der Vorinstanz beanstandeten Umstände wie die Dauer der vorläufigen Festnahme oder seine damalige Behandlung durch die Polizeibehörden rügen. Indem die Vorinstanz den Beschwerdeführer zu deren Erhebung auf den Abschluss des Strafverfahrens verweist, lässt sie seine Rechte unbeschadet und hat somit rechtskonform entschieden (E. 2.3.2).

Die bisherige Rechtsprechung (zu den Beschwerden an das Bundesgericht) hat mitunter auf ein aktuelles praktisches Rechtsschutzinteresse verzichtet:

Das aktuelle praktische Interesse ist im Weiteren dann nicht erforderlich, wenn sich die aufgeworfenen Fragen unter gleichen oder ähnlichen Umständen erneut stellen können, an deren Beantwortung wegen der grundsätzlichen Bedeutung ein hinreichendes öffentliches Interesse besteht, wobei die betreffenden Rügen im Fall des Nichteintretens auf die Beschwerde nie rechtzeitig überprüfbar wären (…). Diese Voraussetzungen hat die Bundesgerichtspraxis ausnahmsweise bei Beschwerden im Zusammenhang mit politischen Kundgebungen und anderen Grossveranstaltungen als erfüllt erachtet. Hierbei ging es vor allem um polizeiliche Anhaltungen im Sinne des heute geltenden Art. 215 StPO und zwar in Fällen, in denen gegen die Betroffenen kein Strafverfahren eröffnet wurde oder dieses zum Zeitpunkt der Beschwerde vor der kantonalen Rechtsmittelinstanz bereits abgeschlossen war (vgl. stellvertretend BGE 107 Ia 138). Solche Konstellationen werfen Grundsatzfragen zur Rechtmässigkeit polizeilicher Zwangsausübung auf, welche sich für die Öffentlichkeit jederzeit in ähnlicher Weise stellen können und – wenn nicht zum gegebenen Zeitpunkt – gerichtlich nie rechtzeitig beantwortet würden (E. 2.3.3).

Solche Fragen grundsätzlicher NAtur stellen sich gemäss Bundesgericht allenfalls bei der Anhaltung nach Art. 215 StPO, nicht jedoch bei der vorläufigen Festnahme nach Art. 217 StPO:

So setzt die Anordnung der vorläufigen Festnahme gemäss Art. 217 Abs. 1 und 2 StPO einen konkreten Tatverdacht voraus, womit sie sich nicht gegen beliebige Personen richtet. Die konkreten Verdachtsmomente müssen hingegen für jeden Betroffenen im Einzelnen erfüllt sein (…). Bei der Rechtmässigkeit dieser Zwangsmassnahme steht der konkrete Straftatvorwurf und dessen rechtliche Zuordnung im Einzelfall im Vordergrund. Die Anordnung einer vorläufigen Festnahme wirft daher in aller Regel keine Fragen auf, für deren Beantwortung wegen ihrer grundsätzlichen Bedeutung für eine Vielzahl Betroffener ein öffentlichen Interesse besteht (E. 2.3.3.).

Dass der Beschwerdeführer seine Angehörigen nicht benachrichtigen durfte, keinen Rechtsbeistand erhielt und über den Grund der Festnahme nicht orientiert wurde, soll daran gemäss Bundesgericht nichts ändern:

Aus diesen Vorbringen sind keine Fragen von hinreichendem öffentlichen Interesse ersichtlich, welche eine grundsätzliche Behandlung im jetzigen Verfahrensstadium rechtfertigen würden (E. 2.3.3).

Ich bin nicht sicher, ob das Bundesgericht hier die richtigen Fragen geprüft hat. Strittig konnte doch nur sein, ob die Vorinstanz zu Recht nicht eingetreten ist. Das hat m.E. wenig mit der Praxis des Bundesgerichts zum alten Recht zu tun, die ein aktuelles praktisches Rechtsschutzinteresse verlangt hatte. Ist denn die Hürde vor dem Zugang zur kantonalen Beschwerdeinstanz genau gleich hoch wie diejenige vor dem Bundesgericht? Ich glaube nicht, dass das so sein sollte.