Kein Sozialversicherungsbertrug durch Verletzung der Meldepflicht
Das Bundesgericht äussert sich in einem neuen Entscheid zum Sozialversicherungsbetrug durch Unterlassen (BGE 6B_750/2012 vom 12.11.2013, Publikation in der AS vorgesehen). Der Beschwerdeführer hatte in Verletzung seiner gesetzlichen Meldepflichten weiterhin Versicherungsleistungen vereinnahmt. Das Bundesgericht stellt zunächst fest, dass dem Beschwerdeführer ein reines Unterlassen vorzuwerfen sei:
Das Verhalten des Beschwerdeführers im Zusammenhang mit der SUVA, der IV und der A. Versicherung erschöpft sich in der Missachtung von gesetzlichen und vertraglichen Meldepflichten. Er hätte die Versicherer über seinen verbesserten Gesundheitszustand u.a. gestützt auf Art. 31 Abs. 1 ATSG orientieren müssen, unterliess jedoch eine entsprechende Meldung und bezog die ihm ursprünglich zu Recht zugesprochenen Versicherungsleistungen stillschweigend weiter. Der Beschwerdeführer täuschte nicht durch unwahre Angaben oder ein anderes aktives Verhalten. Eine Täuschungshandlung ist insbesondere nicht schon darin zu sehen, dass er die Versicherungsleistungen entgegengenommen hat. Der Beschwerdeführer brachte, indem er die Versicherungsleistungen weiterhin stillschweigend bezog, auch nicht zum Ausdruck, die (gesundheitlichen) Verhältnisse bestünden unverändert fort. Der Entgegennahme der Versicherungsleistungen kommt mithin auch konkludent kein positiver Erklärungswert zu (E. 2.4.1).
Zu prüfen war somit, ob eine Garantenstellung vorliege. Dazu reichen dem Bundesgericht die gesetzlichen Meldepflichten nicht:
Auch wenn die Sachverhaltsabklärung im Verfahren vor den Versicherern zentral und die Meldepflicht des Versicherten als Mitwirkungspflicht zur Ermittlung des leistungsrelevanten Sachverhalts wichtig ist (…), begründet sie keine besondere Rechtsstellung des Leistungsbezügers, aufgrund welcher er verpflichtet wäre, die Gefährdung oder Verletzung des strafrechtlich geschützten Rechtsguts des Vermögens des öffentlichen oder privaten Versicherers zu verhindern. Für sein Vermögen hat der Versicherer grundsätzlich selber zu sorgen. Die Verantwortung hierfür geht alleine aufgrund der Meldepflicht nicht auf den Leistungsbezüger über. Dieser hat nur dafür zu „sorgen“ bzw. ist nur dafür verantwortlich, dass er selbst den Versicherer nicht am Vermögen schädigt, weshalb er leistungsrelevante Verbesserungen in seinen Verhältnissen melden muss. Eine gesteigerte Rechtspflicht zum Schutz des Vermögens des Versicherers trifft ihn deswegen aber nicht. Die Pflicht, leistungsrelevante Änderungen in den Verhältnissen zu melden, ist Ausdruck des Grundsatzes von Treu und Glauben (…). Pflichten, die sich aus diesem Gebot ergeben, genügen nicht, um eine Garantenstellung zu begründen (…) [E. 2.4.5]
Zum Verhältnis zu den solzialversicherungsrechtlichen Nebenstrafbestimmungen führt das Bundesgericht aus:
Auch in Anbetracht dieser spezialgesetzlichen Straftatbestände ist bei systematischer Auslegung des Gesetzes auszuschliessen, dass die blosse Verletzung der Meldepflicht eo ipso Betrug sein kann. Zwar wird in den Strafbestimmungen das Vorliegen von mit höheren Strafen bedrohten Verbrechen oder Vergehen vorbehalten. Solche schwerer wiegende Straftatbestände können aber nur erfüllt sein, wenn über die Verletzung der Meldepflicht hinaus weitere Umstände hinzukommen. Die genannten Strafbestimmungen in den Spezialgesetzen hätten keinen Sinn bzw. wären überflüssig, wenn man aus der Meldepflicht eine Garantenpflicht ableiten und die blosse Verletzung der Meldepflicht als Betrug qualifizieren wollte.
Die Versicherer haben es in der Hand, den Leistungsbezüger durch gelegentliche Nachfragen zu Angaben betreffend seine persönlichen, gesundheitlichen oder wirtschaftlichen Verhältnisse zu veranlassen. Äussert sich der Leistungsbezüger auf Nachfragen nicht wahrheitsgemäss und legt er seine verbesserten Verhältnisse nicht offen, geht es nicht mehr um die Frage eines Betrugs durch Unterlassen. Der Leistungsbezüger täuscht diesfalls aktiv (vgl. Urteil 6S.288/2000 vom 28. September 2000 E. 4b/cc; s.a. BGE 127 IV 163, Regeste und Sachverhalt C) [E. 2.4.6].
Dieser hielt gegenüber der B. Versicherung anlässlich seiner Befragung durchwegs daran fest, nach wie vor an starken gesundheitlichen Beeinträchtigungen zu leiden und nur dank der täglichen Einnahme von Schmerztabletten noch leichte Arbeitstätigkeiten verrichten zu können. Seine Aktivitäten bzw. die zwischenzeitlich eingetretene Verbesserung seines Gesundheitszustands brachte er nicht zur Sprache. Damit täuschte der Beschwerdeführer die B. Versicherung aktiv über das Ausmass seiner Beschwerden ohne offenzulegen, dass sich sein Gesundheitszustand in der Zwischenzeit massgeblich verbessert hatte. Dass die B. Versicherung über die Anspruchsgrundlagen und die Umstände, welche allenfalls für eine Verminderung der Ansprüche sprechen würden, im Bilde war, trifft somit nicht zu.
Verblüffenderweise genau entgegengesetzt dem legendären ‚Risiko-Entscheid‘ (126 IV 165), wo gesagt wurde, dass die Nichtoffenlegung der Tatsache, dass man die Antworten der Quiz-Show schon kannte, keine Unterlassung sei, sondern ein aktives Tun, weil man damit vorspiegle, man sei ein ganz normaler Kandidat (der eben die Antworten nicht kennt).
Während ich die Herleitung im Risiko-Entscheid aus einem diffusen (angeblichen) ‚Fairplay-Prinzip‘ recht dürftig fand, scheint sie mir dort, wo man sich vertraglich ausdrücklich zu einer Orientierung über genau diese wesentliche Tatsache verpflichtet hat, durchaus einleuchtend.
Dort wo nämlich eine – und wenn auch nur vertragliche – Verpflichtung besteht, ganz bestimmte wesentliche Umstände zu melden, ist ein pflichtwidriges Schweigen gegenüber der anderen Partei immer ein qualifiziertes Schweigen und damit keine Unterlassung, sondern eine aktive Täuschung.
Man kann sich dann immer noch fragen, ob die Täuschung hier auch arglistig war, aber aktiv war sie meines Erachtens allemal. Qualifiziertes Schweigen ist keine Unterlassung, sondern ein Tun.