Keine amtliche Verteidigung, aber unentgeltliche Rechtspflege
Ein Beschuldigter hat sich darüber beschwert, dass ihm der Kanton Solothurn keinen amtlichen Verteidiger finanzieren wollte. Damit blieb er auch vor Bundesgericht ohne Erfolg. In einem Punkt hat er aber dennoch obsiegt.
Das Bundesgericht wirft dem Obergericht eine Verletzung von Bundesrecht vor, weil es dem Beschuldigten im Beschwerdeverfahren die integrale unentgeltliche Rechtspflege verweigert hatte (BGer 1B_402/2015 vom 11.01.2016):
Obwohl dafür im Wesentlichen ähnliche Grundsätze anwendbar sind, stellt sich die Rechtslage insofern anders dar. Zu prüfen ist, ob die im vorinstanzlichen zu entscheidende prozessuale Frage der Gewährung bzw. der Verweigerung der amtlichen Verteidigung im Strafverfahren von vornherein aussichtslos erschien bzw. mit besonderen Schwierigkeiten verbunden war. Wie der angefochtene Entscheid und das vorliegende Urteil belegen, erweist sich die entsprechende Rechtsfrage nicht als von vornherein eindeutig und auch als von einem juristischen Laien ohne weiteres zu bewältigen. Dem überschuldeten und als Sozialhilfebezüger offensichtlich bedürftigen Beschwerdeführer stand damit ein Anspruch auf unentgeltliche Rechtspflege und Verbeiständung gemäss Art. 29 Abs. 3 BV im obergerichtlichen Verfahren zu. Der angefochtene Entscheid verletzt insoweit Bundesrecht (E. 4.2).
Die beabsichtigte Sparübung kostet nun CHF 3,000.00 sowie die kantonalen Gerichtskosten. Dafür muss sie dem Beschuldigten den Anwalt nicht vorfinanzieren.
Wie schön, dass der Entscheid nun online ist; ich freue mich (fast) immer, meinen Namen zu lesen. Vielleicht sollte ich mich gerade aufgrund meiner Beteiligung nicht dazu äussern; aber irgendwie finde ich es doch seltsam, dass einem, dem 1 Jahr Freiheitsstrafe droht (360 Tage, wenn man so will), ein Verteidiger „aufgezwungen“ wird, auch wenn er gar keinen will. Aber wer 100 Tagessätze zu erwarten hat, der kriegt keinen (finanziert), selbst wenn er darum ersucht. Nun, da kann man dem Bundesgericht gar nicht so viel vorwerfen, es steht halt so (bzw. so ähnlich) im Gesetz. Diesbezüglich erscheint mir allerdings auch der Begriff „Bagatellfall“ bzw. „Bagatelle“ unglücklich gewählt. 100 Tagessätze bzw. eine Geldstrafe von CHF 3’000.00 und ein Strafregistereintrag eine Bagatelle, eine Kleinigkeit, eine Lappalie? Aber sicher doch.
Das liegt daran, dass viele Richter keine Ahnung haben, wie ernst sie und ihre Rechtssprüche von den meisten Beschuldigten genommen werden.
@ Fabian Malovini: Was wäre Ihrer Meinung nach ein „Bagatell-Fall“?
Wenn Sie jedem Beschuldigten, dem eine Geldstrafe von 100 Tagessätzen droht, einen vom Staat finanzierten Verteidiger zur Seite stellen wollen, dann können Sie auch gleich einen Automatismus verlangen, wonach jedem Beschuldigten automatisch ein staatlich finanzierter Verteidiger zur Seite gestellt wird…
Wer die Rechnung schlussendlich bezahlt? Egal… Hauptsache die konstante und risikolose Einnahmequelle der Verteidiger bleibt bestehen. Immerhin steht ja der Rechtsstaat – oder sogar die Menschenrechte (?) – auf dem Spiel.
Grundsätzlich frage ich mich bei dieser Thematik, wo die sonst so hoch gepriesene Selbstverantwortung der (kriminellen) Mitbürger bleibt.
Ich vermute, Sie haben Art. 132 Abs. 2 StPO nicht gelesen. Voraussetzung ist nicht nur „kein Bagatellfall“, sondern auch „rechtliche oder tasächliche Schwierigkeiten“. Gibt es schon ab einem Tagessatz eine amtliche Verteidigung, kriegt trotzdem nicht jede/r einen „Gratisanwalt“.
Eine Möglichkeit besteht im Übrigen etwa darin, die notwendige Verteidigung abzuschaffen. Dafür könnte man die (nicht notwendige) amtliche Verteidigung kostenneutral ausbauen.
Entscheidend ist für mich eh nur eines: Der Beschuldigte ist aufgrund der Unschuldsvermutung (formell betrachtet) unschuldig. Hat der Beschuldigte Geld kann er sich einen Anwalt leisten, der bei einem Freispruch vom Staat entschädigt wird. Der Anwalt des mittellosen Freigesprochenen würde natürlich auch entschädigt, nur hat dieser halt gar keinen – und damit natürlich auch schlechtere Chancen auf einen Freispruch. Man kann das gut finden, aber es ist halt diskriminierend.