Keine Durchsuchung des Mobiltelefons zwecks “Umfelderhebung”
In einem Strafverfahren gegen einen Vater wegen Misshandlung seiner Tochter (Schütteltrauma) wurde dessen Mobiltelefon sichergestellt. Im Entsiegelungsverfahren blieb der Tatverdacht unbestritten. Bestritten war aber der Umfang der beantragten Entsiegelung. Der Beschuldigte hielt dafür, dass die Entsiegelung von Daten vor der Geburt des Kindes nicht zulässig sei. Das Bundesgericht bestätigt diese Auffassung und heisst die Beschwerde gegen den Entsiegelungsentscheid des ZMG in diesem Sinn gut (BGer 1B_487/2020 von 02.11.2020).
Bei der Voraussetzung des erforderlichen Deliktskonnexes betont das Bundesgericht das auch erforderliche zeitliche Element. Die Staatsanwaltschaft wollte auch vor der Geburt generierte Daten einsehen und begründete dies mit einer “Umfelderhebung”.
Da die Strafverfolgungsbehörden den Inhalt der zu untersuchenden Informationsträger naturgemäss noch nicht kennen, wird ein hinreichender Deliktskonnex bereits dann bejaht, wenn objektiv Anlass zur Annahme besteht, dass die versiegelten Objekte für den Zweck des Strafverfahrens erheblich sind, mithin ein adäquater Zusammenhang zwischen den verfolgten Straftaten und den zu untersuchenden Aufzeichnungen besteht (“utilité potentielle”; Urteil 1B_98/2018 vom 29. Mai 2018 E. 3.3; vgl. Urteile 1B_269/2017 vom 25. Oktober 2017 E. 3.2; 1B_321/2016 vom 31. Oktober 2016 E. 2.3.2). Erforderlich ist namentlich auch ein zeitlicher Konnex zwischen der mutmasslichen Straftat und den zu durchsuchenden Dokumenten oder Datenträgern (in BGE 145 IV 273 nicht publizierte E. 2.4) [e. 3.2. Hervorhebungen durch mich].
Damit war der Weg vorbereitet, um die Umfelderhebung als unverhältnismässig zu qualifizieren:
Zusammenfassend ergibt sich, dass die Inhalte des versiegelten Mobiltelefons, soweit sie vor dem 22. Mai 2020 datieren (Tag der Geburt der Mädchen), keinen unmittelbaren Bezug zu den dem Beschuldigten vorgeworfenen Straftaten aufweisen und folglich nicht zur Aufklärung entsprechender Verdachtsmomente beitragen können. Allenfalls liesse deren Auswertung allgemeine Hinweise auf die Persönlichkeit des Beschwerdeführers zu. Dies genügt jedoch nicht, um den rechtsprechungsgemäss erforderlichen, engen Sachzusammenhang zum Gegenstand der Strafuntersuchung zu bejahen (oben E. 3.2; vgl. insbes. das Urteil 1B_269/2017 vom 25. Oktober 2017 E. 3.2). Das Entsiegelungsgesuch erweist sich als unverhältnismässig und damit als bundesrechtswidrig, soweit es auch Daten betrifft, die vor dem 22. Mai 2020 auf dem Mobiltelefon gespeichert wurden. Insoweit ist die Entsiegelung zu verweigern (E. 4.3).
Damit muss das ZMG eine Triage vornehmen (lassen):
Für die Daten ab dem 22. Mai 2020 kann die Entsiegelung demnach ohne Weiteres gewährt werden. Es wird Sache der Vorinstanz sein, die entsprechende Triage vorzunehmen bzw. vornehmen zu lassen (Art. 248 Abs. 4 StPO). [E. 4.4].
Ich checke nicht, warum die STA einen “deal” anbietet (welcher offenbar dokumentiert ist) und dann doch an ihrer maximalforderung festhält. Ein unnötiges verfahren! Aber ja, ohne aktenkenntnis ist das vielleicht schwierig nachzuvollziehen, warum die STA das gemacht hat.
Bei pauschaler, vollständiger Freigabe entfällt die Notwendigkeit einer Triage, wodurch mehrere Monate Zeit gespart werden.