Keine Fluchtgefahr – Motassadeq aus der Haft entlassen
Nach einem Urteil des Bundesverfassungsgerichts (2 BvR 2056/05 vom 01.02.2006) wurde Mounir al-Motassadeq, der als erster wegen Mitwirkung an den Anschlägen von 9/11 (nicht rechtskräftig) verurteilt worden war, aus der Haft entlassen. Das Urteil und die Pressemitteilung des Bundesverfassungsgerichts sind online, ebenso wie die Berichterstattung der NZZ. Aus der Pressemitteilung vom 07.02.2006:
Ein nach der Haftverschonung ergangenes (nicht rechtskräftiges) Urteil oder ein hoher Strafantrag der Staatsanwaltschaft können im Einzelfall zwar geeignet sein, den Widerruf einer Haftverschonung oder die Invollzugsetzung eines Haftbefehls zu rechtfertigen. Dies setzt jedoch voraus, dass die später vom Tatrichter verhängte oder die von derStaatsanwaltschaft beantragte Strafe von der Prognose des Haftrichters erheblich zum Nachteil des Beschuldigten abweicht und sich die Fluchtgefahr dadurch ganz wesentlich erhöht. War dagegen zum Zeitpunkt der Außervollzugsetzung des Haftbefehls mit der später ausgesprochenen – auch höheren – Strafe zu rechnen und hat der Beschuldigte die ihm erteilten Auflagen gleichwohl korrekt befolgt, darf die Haftverschonung nicht widerrufen werden. Selbst der Umstand, dass der um ein günstiges Ergebnis bemühte Angeklagte infolge des Schlussantrages der Staatsanwaltschaft oder gar durch das Urteil selbst die Vergeblichkeit seiner Hoffnungen erkennen muss, kann einen Widerruf der Haftverschonung nicht rechtfertigen, sofern ihm die Möglichkeit eines für ihn ungünstigen Ausgangs während der Außervollzugsetzung des Haftbefehls stets vor Augen stand und er gleichwohl allen Auflagen beanstandungsfrei nachkam. Insoweit setzt sich der vom Angeklagten auf der Grundlage des Verschonungsbeschlusses gesetzte Vertrauenstatbestand als Ausprägung der wertsetzenden Bedeutung des Grundrechts der persönlichen Freiheit im Rahmen der vorzunehmenden Abwägung durch.
Nicht gleich dürfte dies das Schweizerische Bundesgericht sehen, das erst kürzlich ähnliche Fragen zu entscheiden hatte (vgl. meinen Beitrag von gestern).