Keine Gnade für Alleinerziehende
Eine rechtskräftig verurteile alleinerziehende Mutter zweier Kinder wurde wegen Widerhandlungen gegen das Betäubungsmittelgesetzes zu einer Freiheitsstrafe von viereinhalb Jahren verurteilt. Sie kämpfte bis vor Bundesgericht (BGE 6B_40/2020 vom 17.08.2020, Publikation in der AS vorgesehen) vergeblich dafür, die Strafe erst später antreten zu müssen, bzw. sie in einer Form oder in einer Anstalt verbüssen zu können, welche den regelmässigen Kontakt zu den beiden Kindern (6- und 13-jährig mit progredienter Skoliose) ermöglichen sollte. Das Bundesgericht sieht keine Möglichkeit und weist die Beschwerde ab. Es sei im nationalen Recht nicht vorgesehen und die Kinderrechtskonvention KRK könne sie sich als Mutter auch nicht berufen. Das liest sich dann auszugsweise so:
Es ist nicht zu bestreiten, dass ein Strafvollzug für die Beschwerdeführerin sowie ihren Sohn, welchen sie derzeit alleine betreut, eine Belastung darstellt. Denn das Kind wird während des Strafvollzugs der Beschwerdeführerin auf eine Fremdbetreuung angewiesen sein und von seiner Mutter als Bezugsperson vorübergehend getrennt leben. Dies stellt jedoch eine unvermeidbare Konsequenz der freiheitsentziehenden Sanktion dar, welche sich die Beschwerdeführerin bereits im Zeitpunkt der Tathandlungen, als sie schwanger war, vor Augen führen musste (E. 3.2.2, Hervorhebungen durch mich).
Die Beschwerdeführerin ist nicht Mutter von Kleinkindern, weshalb Art. 80 Abs. 1 lit. c StGB keine vom Normalvollzug abweichende Vollzugsform zulässt. Auch besteht weder eine Krankheit noch eine Schwangerschaft, die den Vollzug in einer “anderen geeigneten Einrichtung” nach Art. 80 Abs. 1 lit. a oder lit. b StGB erfordern würde (vgl. BGE 106 IV 321 E. 7). Das Landesrecht verleiht der Beschwerdeführerin keinen Anspruch auf einen ihren Forderungen entsprechenden Strafvollzug (E. 3.2.5)..
Auch das Völkerrecht half nicht:
Die Beschwerdeführerin ist nicht berechtigt, Rechte ihrer Kinder in eigenem Namen geltend zu machen. Es fehlt ihr dazu das rechtlich geschützte Interesse gemäss Art. 81 Abs. 1 lit. b BGG (E. 3.3.3).
Es verbietet sich mir, diesen neuen Grundsatzentscheid des Schweizerischen Bundesgerichts hier nicht kommentieren.
Wenn ich das Urteil so richtig verstehe, was ich vermutlich nicht tue, könnten auch Eltern nicht für Schäden ihrer Kinder ( Genugtuung) nach Art. 431 oder Art. 429 beachtragen.
10 Jahre nach Strafbegehung ist das öffentliche Interesse am Vollzug des Urteils zumindest reduziert. Das gilt zumindest dann, wenn die Beschwerdeführerin sich seither keiner weiteren Strafhandlungen hat zu Schulde kommen lassen. Das BGer geht in seinem Urteil auf diesen Gesichtspunkt mit keinem Worte ein.
Das Leid der betroffenen Kinder ist zwar nicht im Foltervebot enthalten aber ist es deshalb juristisch irrelevant (wie das BGer zu argumentieren scheint) oder muss es dennoch bei einer Interessenabwägung zumindest betreffend des Vollzugsortes berücksichtigt werden?
Während der Hängigkeit des Verfahrens 6B_40/2020 wiesen zwei Richterinnen, die auch am eben genannten Urteil vom 17.08.2020 mitgewirkt hatten, eine Beschwerde ab (6B_562/2020, 23.06.2020). Darin war die nachträglich eingetretene, d.h. nach Erlass eines Strafbefehls wegen ilegalen Aufenthalts eingetretene Straflosigkeit geltend gemacht worden; während die asyl- und ausländerrchtlichen Instanzen praxisgemäss nie die Veinbarkeit eines Wegweisungsvollzuges mit der Kinderrechtskonvention pflichtgemass geprüft hatten, verweigerte der Drittstaat der Familie auf unsere Anfrage hin die Einreise. Weil die StPO wie das VwVG das Wiedererwägungsverfahren nicht ausdrücklich regelt, beharrten die Strafrechtsorgane, inkl. das Bundesgericht im genannten Urteil, auf dem Vollzug der Strafe ( d.h. auf der Bestrafung eines Verhaltens, das nicht mehr alle geforderten Strafbarkeitsbedingungen erfüllte), ohne die EMRK oder KRK anzuwenden.