Keine Landesverweisung – keine amtliche Verteidigung
Eine formelle Verteidigung ist u.a. dann notwendig, wenn eine Landesverweisung droht (Art. 130 lit. b StPO). Nach einem neuen Urteil des Bundesgerichts (BGer 1B_338/2017 vom 24.11.2017) gilt das aber offenbar nur, wenn die Landesverweisung im Strafverfahren selbst angeordnet wird.
Der Fall ist deshalb interessant, weil das Migrationsamt den Betroffenen gestützt auf den gegen ihn erlassenen Strafbefehl weggewiesen und mit einer Einreisesperre belegt hat, obwohl die Staatsanwaltschaft auf eine Landesverweisung verzichtet hatte.
Gegen den Strafbefehl hat der Betroffene Einsprache erhoben und erfolglos die amtliche Verteidigung beantragt:
In Bezug auf das Argument des Beschwerdeführers, eine amtliche Verteidigung müsse auf jeden Fall bestellt werden, da auch eine fakultative Landesverweisung möglich sei, ist Folgendes zu bemerken: Im Strafbefehl vom 3. Februar 2017 wurde keine fakultative Landesverweisung in Erwägung gezogen. Andernfalls hätte Anklage erhoben werden müssen. Im Strafbefehlsverfahren ist die Verhängung einer Landesverweisung nicht zulässig. Erhebt die Staatsanwaltschaft keine Anklage oder beantragt sie keine Landesverweisung, droht dem Beschuldigten keine Landesverweisung im Sinne von Art. 130 Bst. b StPO, weshalb diese Bestimmung hier auch nicht anwendbar ist. Darauf weist auch die Staatsanwaltschaft in ihrer Stellungnahme hin. Wie die Vorinstanz zutreffend hervorhebt, kann der vorliegende Sachverhalt auch nicht als „faktische Landesverweisung“ qualifiziert werden, da kein schwerer Eingriff in die Rechtspositionen des Beschwerdeführers vorliege. Diese Auffassung entspricht der bundesgerichtlichen Rechtsprechung, wonach in Bezug auf die Gewährung der amtlichen Verteidigung eine Landesverweisung als qualifizierendes Eingriffsmerkmal für Ausländer angenommen werden kann, die seit langem in der Schweiz leben, hier verwurzelt sind und kaum mehr Beziehungen zum Ausland haben (Urteil des Bundesgerichts 1P.365/2002 vom 31. Juli 2002 E. 3.1). Dies trifft auf den Beschwerdeführer, der sich nach eigenen Angaben als Tourist in der Schweiz aufgehalten habe, ganz offensichtlich nicht zu (E. 4.3).
So kann das ordentliche Verfahren mit Anklage und auch die notwendige Verteidigung umgangen werden.
„Umgehen“ im Sinne einer planmässigen Vorgehensweise der STA kann man die notwendige Verteidigung und die Anklageerhebung nicht. Selbst im konkreten Fall wurde ja der Strafbefehl angefochten, mithin wurde der Fall im ordentlichen Verfahren beurteilt.
Ebenfalls gibt es keine derartige Koordination in der Beurteilung von Straffällen zwischen Staatsanwaltschaft und Migrationsamt, dass eine Umgehung der notwendigen Verteidigung tatsächlich möglich wäre.
Art. 130 lit. b StPO wurde im hinblick auf die Umsetzung der Ausschaffungsinitiative angepasst. Die dort angesprochene Landesverweisung bezieht sich daher eindeutig auf Fälle der obligatorischen Landesverweisung, welche erst seit 1. Oktober 2016 möglich ist und nicht auf die fakultative Wegweisung durch das Migra, welche es bereits vor dem 1. Oktober 2016 gegeben hat.
Der BGE ist insofern logisch und überzeugt auch im Ergebnis.
Mit fakultativer Landesverweisung ist Art. 66a-bis StGB gemeint: „Das Gericht kann einen Ausländer für 3-15 Jahre des Landes verweisen, wenn er wegen eines Verbrechens oder Vergehens, das nicht von Artikel 66a erfasst wird, zu einer Strafe verurteilt oder gegen ihn eine Massnahme nach den Artikeln 59-61 oder 64 angeordnet wird.“ Auch diese Bestimmung ist am 01.10.2016 in Kraft gesetzt worden.