Keine Parteientschädigung für die Verteidigung eines Strafverteidigers
Im Kanton BS wurde gegen einen Strafverteidiger ein Strafverfahren wegen Widerhandlung gegen das SVG eröffnet. Über ein Jahr nach Erlass eines Strafbefehls (Busse CHF 200.00) stellte die Staatsanwaltschaft das Verfahren ein.
Der Fall gelangte trotzdem bis vor Bundesgericht, weil dem Anwalt die Kosten der Verteidigung nicht ersetzt wurden (BGer 6B_1136/2018 vom 28.02.2019). Die Begründung des Bundesgerichts (und der Vorinstanz) erweckt den Eindruck, dass die Funktion der Strafverteidigung noch immer missverstanden wird:
Entgegen seiner Auffassung ist es nicht zu beanstanden, wenn die Vorinstanz unter diesen Umständen erwägt, der erhobene Tatvorwurf weise in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht keinerlei Komplexität auf, weshalb der Beizug eines Anwalts nicht geboten gewesen sei. Dies muss umso mehr gelten, als es sich beim Beschwerdeführer um einen forensisch tätigen, erfahrenen Rechtsanwalt mit Schwerpunkt Strafrecht handelt, der regelmässig sowohl bei der Strafverfolgungsbehörde als auch am Straf- und Appellationsgericht Basel-Stadt als Verteidiger auftritt. Der Vorinstanz ist zuzustimmen, dass er über seine Rechte bestens informiert war und einer anwaltlichen Vertretung nicht bedurfte (E. 1.2.1).
Nicht verstanden hat das Bundesgericht, dass auch ein Anwalt sich selbst nie wirksam verteidigen kann. “He who represents himself has a fool for a client” ist viel mehr als eine blosse Redensart. Was das Bundesgericht zudem übersieht ist, dass Strafverteidigung nichts mit tatsächlichen oder rechtlichen Schwierigkeiten eines Falls zu tun hat. Abgesehen davon, dass es Fälle ohne Komplexität in der Praxis schlicht und einfach nicht gibt (im vorliegenden Fall war ja immerhin ein offenbar unrichtiger Strafbefehl ergangen), dient Strafverteidigung indirekt immer auch der Rechtspflege. Im vorliegenden Fall hat sie die Rechtspflege vor einem Fehlurteil im Kleid eines Strafbefehls bewahrt. Formelle Verteidigung ist daher immer und ohne jede Ausnahme geboten und zu entschädigen. Auch im Interesse der Rechtspflege.
Mich erstaunt im besagten BGer-Urteil die Passage “… weil die Staatsanwaltschaft bei Konfrontationen praxisgemäss nur dem Rechtsbeistand erlaubt am Ende der Einvernahme direkt Fragen an die Zeugin zu stellen”. Das geht m.E. nicht. Das BGer hat im Entscheid 6B_836/2014 vom 30.01.2015 ( E. 2.4.) klar festgehalten, dass das Fragerecht dem Beschuldigten persönlich zusteht. Damit ist gesagt, dass sowohl der Verteidiger der beschuldigten Person als auch letztere selbst dem Zeugen Ergänzungsfragen stellen bzw. via Verfahrensleitung stellen lassen kann. Die besagte Praxis der STA BS, wenn sie denn tatsächlich so gehandhabt werden sollte, erstaunt unter diesem Gesichtspunkt und läuft der bundesgerichtlichen Rechtsprechung zuwider.
@STA J. Glaus: stimmt! Abgesehen von der Bundesrechtswidrigkeit einer solchen Praxis: welchen Sinn sollte sie haben?
Täusche ich mich oder würde dies im Zivilrecht gemäss BGE 144 III 164 und https://www.alexandria.unisg.ch/254799/ für den Anwalt grosszügiger gehandhabt als in Strafsachen?
@Jemand: Sehr guter Hinweis, danke dafür: “Gemäss Art. 68 Abs. 1 ZPO kann sich sodann jede prozessfähige Partei im Prozess vertreten lassen. Diese Befugnis würde faktisch unterlaufen, wenn eine Partei im Vorfeld eines Prozesses damit rechnen müsste, dass sie selbst im Falle ihres Obsiegens keinen Beitrag an die Kosten ihrer berufsmässigen Vertretung zugesprochen erhalten würde (vgl. TAPPY, a.a.O., N. 29 zu Art. 95 ZPO). Die betroffene Partei trüge damit ein zusätzliches Kostenrisiko (nämlich auf ihren eigenen Anwaltskosten vollumfänglich sitzen zu bleiben), während ihre Gegenpartei – obschon sie den Prozess verloren hat – von einem Kostenrisiko entlastet würde.”
Jetzt mal ehrlich: Dieses „He who represents himself has a fool for a client“ mag ja zuweilen zutreffen, z.B. wenn sich ein Anwalt in eigener Sache in einer Kampfscheidung befindet. Aber bei einer einfachen Übertretung im SVG-Bereich?
Zuweilen wird auch kolportiert, dass in solchen Fällen die Eingaben gar nicht vom vertretenden Büropartner ausgefertigt, sondern nur von diesem unterschrieben werden, damit man noch etwas mehr Entschädigung kassieren kann als wenn man sich auch gegen aussen selber vertritt. Das sind aber hoffentlich nur Gerüchte.
Das wäre einfach unprofessionell. Und: ich spreche aus Erfahrung. Sog. einfachste Fälle, mit denen ich überfordert war weil es um mich ging.