Keine Randdatenerhebung beim Privatkläger
Der Staatsanwaltschaft wird immer wieder vorgeworfen, sie klärten die entlastenden Tatsachen zu wenig ab. Diesen Vorwurf muss sich die Staatsanwaltschaft des Kantons Bern jedenfalls dann nicht entgegenhalten lassen, wenn die beschuldigte Person ein Polizist ist. Bis vor Bundesgericht hat sie nämlich dafür gekämpft, die Kommunikations-Randdaten des geschädigten Privatklägers nach Art. 273 StPO rückwirkend erheben zu lassen. Damit wollte sie Zeugenaussagen “mit anderen objektivierbaren Beweisergebnissen” abgleichen, weil die Zeugen zum “Umfeld” des Privatklägers gehörten.
Das Bundesgericht erachtet die (nicht geheime) Überwachungsmassnahme im konkreten Fall für unzulässig (BGE 1B_256/2015 vom 04.11.2015, Publikation in der AS vorgesehen). Es handelt sich zwar bei der rückwirkenden Erhebung von Randdaten, die bereits beim Provider gespeichert sind, nicht um eine geheime Untersuchungsmassnahme, weshalb der Eingriff weniger einschneidend ist. Den gesetzlichen Schranken und Eingriffsvoraussetzungen ist aber dennoch ausreichend Rechnung zu tragen. Art. 273 Abs. 1 lit. StPO erlaubt
nur Erhebungen darüber, wann und mit welchen Personen oder Anschlüssen die überwachte Person über den Fernmeldeverkehr Verbindung gehabt hat (…). Die Randdatenerhebung nach Art. 273 Abs. 1 lit. a StPO setzt somit eine untersuchungsrelevante Kommunikationsverbindung zu Personen oder Fernmeldeanschlüssen voraus (vgl. BGE 141 IV 108 E. 5.6 S. 123 f., E. 6.2 S. 128; 137 IV 340 E. 5.2 S. 347). Nach der einschlägigen Praxis des Bundesgerichtes verlangt eine rückwirkende Randdatenerhebung (wie jede Überwachungsmassnahme) ausserdem einen direkten Sachzusammenhang zwischen der Überwachungsmassnahme und dem untersuchten Delikt (vgl. Urteil des Bundesgerichtes 1B_251/2013 vom 30. August 2013 E. 5.5) [E. 4.3.3].
Im Ergebnis dient die hier streitige Überwachungsmassnahme jedoch bloss indirekt der Aufklärung der untersuchten Straftaten. Primär scheint die Staatsanwaltschaft bestrebt, die belastenden Aussagen des Privatklägers in Frage zu stellen und die Aussagen von zwei indirekten Zeugen (zum Aufenthalt des Privatklägers vor dem angezeigten Vorfall) zu relativieren. Bei diesen indirekten Zeugen handelt es sich nicht um Tatzeugen (E. 4.4.3).
Für mich ist die wichtigste Erwägung aber die nachfolgende. Dort stellt das Bundesgericht nämlich – zwar zurückhaltend, aber letztlich eben doch – fest, dass verfassungsmässige Rechte nicht zur Disposition der Parteien stehen. Ein Genehmigungsverfahren ist danach auch dann durchzuführen, wenn die Betroffenen der Zwangsmassnahme zustimmen:
Die oben dargelegten gesetzlichen Voraussetzungen einer behördlich verfügten strafprozessualen Randdatenerhebung bei Dritten, insbesondere das richterliche Genehmigungserfordernis (Art. 273 Abs. 2 StPO), sind grundsätzlich auch dann zu beachten, wenn die verfahrensleitende Staatsanwaltschaft sich um eine “Zustimmung” des Inhabers des überwachten Fernmeldeanschlusses bemüht hat. Strafverfahren können nur in den vom Gesetz vorgesehenen Formen durchgeführt werden (Art. 2 Abs. 2 StPO). Dies muss namentlich für strafprozessuale Überwachungen gelten (Art. 197 Abs. 1 lit. a StPO). Ausserdem ist der Untersuchungsgrundsatz zu beachten (Art. 6 Abs. 1 und Art. 311 Abs. 1 StPO). Dafür, dass der Gesetzgeber die strafprozessuale Randdatenerhebung bei Dritten in die freie und von Art. 269-273 StPO abweichende Disposition zwischen der Staatsanwaltschaft und betroffenen Anschlussinhabern hätte legen wollen, findet sich im Gesetz keinerlei Anhaltspunkt. Wie der vorliegende Fall zeigt, empfiehlt es sich im Übrigen, dass die Staatsanwaltschaft eine allfällige schriftliche Zustimmung des von der rückwirkenden Randdatenerhebung betroffenen Dritten zusammen mit dem Genehmigungsgesuch beim Zwangsmassnahmengericht einreicht (E. 4.5).