Keine Regeln über Zustellungen im Ordnungsbussenverfahren
In einem zur Publikation in der AS vorgesehenen Entscheid äussert sich das Bundesgericht zur Frage, wie Zustellungen im Ordnungsbussenverfahren zu erfolgen haben (BGE 6B_855/2018 vom 15.05,2018). Der Beschwerdeführer hatte geltend gemacht, er habe weder die Busse noch die Mahnung erhalten. Das Bundesgericht glaubt ihm nicht und – um diesen Eindruck komme ich bei der Lektüre des Entscheids nicht ganz herum – konstruiert ein Urteil zulasten des Beschwerdeführers.
Zuerst war zu klären, ob überhaupt die Vorschriften nach StPO anwendbar seien. Das Bundesgericht kommt zunächst zum nicht ganz neuen Schluss, auch das Ordnungsbussenverfahren sei ein Strafverfahren.
Auch das nach dem Ordnungsbussengesetz abgewickelte Sonderverfahren für die in der Bussenliste abschliessend umschriebenen Verkehrsübertretungen bleibt aber ein Strafverfahren. Mit Inkrafttreten des Ordnungsbussengesetzes und der dazu gehörenden Verordnung wurden die Behörden lediglich davon befreit, bei jeder Parkzeitüberschreitung und anderen geringfügigen Übertretungen ein ordentliches Strafverfahren einzuleiten. An der Natur des Verfahrens hat sich daran nichts geändert. Ordnungsbussen sind denn auch trotz ihrer Abhängigkeit von der Zustimmung des Täters echte Strafen und es gelten, abgesehen davon, dass Vorleben und persönliche Verhältnisse nicht berücksichtigt werden, die Grundsätze des Strafrechts (BGE 115 IV 137 E. 2b S. 138; Urteil 6B_344/2012 vom 1. Oktober 2012 E. 2.3; Botschaft des Bundesrates an die Bundesversammlung vom 14. Mai 1969 zum Entwurf eines Bundesgesetzes über Ordnungsbussen im Strassenverkehr, BBl 1969 I.2, S. 1093; RENÉ SCHAFFHAUSER, Zur Entwicklung des Ordnungsbussenrechts im Strassenverkehr, AJP 1996, S. 1215 ff.) [E. 1.5].
Damit wäre ja alles klar. Doch das Bundesgericht springt dann zur Feststellung, dass das Ordnungsbussengesetz keine Vorschriften über die Zustellung enthält. und öffnet so den Weg zur Lückenfüllung (!), die zum Ergebnis führt, dass die Behörden frei entscheiden können, wie sie zustellen wollen:
Angesichts der Materialien, wonach das OBG nicht nur das materielle Recht der Ordnungsbussen enthält, sondern auch die wenigen verfahrensrechtlichen Fragen der vereinfachten Ahndung der leichten Verkehrswiderhandlungen selber regelt (Botschaft des Bundesrates an die Bundesversammlung vom 14. Mai 1969 zum Entwurf eines Bundesgesetzes über Ordnungsbussen im Strassenverkehr, BBl 1969 I.2, S. 1092), muss davon ausgegangen werden, dass diese Regelung abschliessend zu verstehen ist. Daraus folgt, dass der Gesetzgeber in Bezug auf die Zustellung im Sinne eines qualifizierten Schweigens bewusst darauf verzichtet hat, zum einen im OBG eine eigene Zustellungsregelung vorzusehen und zum anderen bei der Einführung der StPO im OBG einen Verweis auf die Bestimmungen der StPO einzufügen. Dadurch wird der “status quo ante” beibehalten, d.h. es besteht keine besonders geregelte Zustellung im Ordnungsbussenverfahren mit der Folge, dass es den Behörden freigestellt ist, auf welche Art sie ihre Mitteilungen verschicken (vgl. BGE 142 III 599 E. 2.4.1 S. 603 f. für das Verwaltungsverfahren) [E. 1.7].
Damit ist die Beschwerde freilich noch nicht abgewiesen. Jetzt braucht es noch den Beweis der Zustellung, den die Behörden zu erbringen haben. Dass sie ihn erbracht haben, ist nach Bundesgericht von der Vorinstanz nicht willkürlich festgestellt worden.
Im Sinne der aktuellen Rechtsprechung des Bundesgerichts ist vorliegend somit nicht massgebend, ob der Beschwerdeführer die Übertretungsanzeige oder die Zahlungserinnerung tatsächlich zur Kenntnis genommen hat, was er ja bestreitet, sondern ob zumindest eines dieser Dokumente gleichwohl als zugestellt zu gelten hat (vgl. E. 1.3.2.). Der Nachweis der Eröffnung obliegt auch hier der Behörde. Da es praktisch schwierig, wenn nicht gar unmöglich zu beweisen ist, dass eine Zustellung mittels einfacher Post tatsächlich erfolgt ist (siehe BGE 142 IV 125 E. 4.4 S. 128 mit Hinweis), könnte es daher angebracht sein, zumindest den zweiten Schriftverkehr (Zahlungserinnerung) nicht mit einfacher, sondern mit eingeschriebener Post oder auf andere Weise gegen Empfangsbestätigung zu versenden. Allerdings ist die Erwägung der Vorinstanz, wonach die Möglichkeit eines doppelten Zustellungsfehlers unter den vorliegenden Verhältnissen vernachlässigbar klein sei, nicht zu beanstanden. Ihr Schluss, es könne mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit ausgeschlossen werden, dass weder die Übertretungsanzeige noch die Zahlungserinnerung beim Beschwerdeführer angekommen seien (Entscheid S. 3 ff. E. 2), ist nicht willkürlich. Damit erweisen sich die Rügen als unbegründet (E. 1.8).
Damit haben wir schon wieder einen Grundsatzentscheid zuungunsten von einfachen und klaren Regeln. Er lässt grundsätzlich zu, dass man rechtskräftig verurteilt wird ohne es zu wissen.