Keine strafprozessualen Garantien bei internen Untersuchungen (mehr)

Strafprozessuale Verfahrensgarantien kommen nach einem kürzlich im Internet publizierten Entscheid des Bundesgerichts bei internen Untersuchungen nicht zur Anwendung (BGer 4A_386/2023 vom 19.01.2014, Fünferbesetzung). Das Bundesgericht kritisiert dabei die Vorinstanz (Obergericht ZH) hart und wirft ihr vor, die bisherige Rechtsprechung (insb. BGer 4A_694/2015 vom 4. Mai 2016 ) zu weit auszulegen. Dort war immerhin zu lesen:

La doctrine s’est récemment exprimée sur les investigations que l’employeur doit accomplir s’il entend licencier un travailleur par suite d’une dénonciation qui lui a été adressée par un autre travailleur de l’entreprise (alerte à l’employeur ou  whistleblowing). En l’occurrence, la dénonciation élevée contre la demanderesse ne provient pas d’un autre travailleur de l’établissement médico-social mais d’un résident ou client de cet établissement; cette différence n’est cependant pas significative et il se justifie donc de citer ces opinions doctrinales. Ainsi, l’employeur est censé accomplir ou faire accomplir, éventuellement par un mandataire externe si l’accusation est grave, une enquête complète comportant, pour le travailleur dénoncé, des garanties équivalentes à celles d’une instruction pénale, telles les possibilités de préparer sa défense, se faire assister d’un conseil et faire administrer des preuves (E. 2.4 aus BGer 4A_386/2023).

Dass sich die Vorinstanz darauf nicht hätte stützen dürfen, begründet das Bundesgericht nun wie folgt:

Das Bundesgericht gab dort Lehrmeinungen wieder, welche die Durchführung einer vollständigen Untersuchung (“une enquête complète”) propagieren und vergleichbare Verfahrensgarantien wie in einem Strafverfahren (“des garanties équivalentes à celles d’une instruction pénale”) fordern. Allerdings betraf der damalige Sachverhalt keine interne Untersuchung im eigentlichen Sinn. Hätte das Bundesgericht die Forderungen der Lehre nicht bloss zitieren, sondern sich ihnen auch anschliessen wollen, dann hätte es dies in der Form eines unnötigen obiter dictum getan und überdies einen Widerspruch geschaffen zum Grundsatz, dass strafprozessuale Grundsätze nur im Verhältnis zu staatlichen Behörden gelten (vgl. etwa BGE 131 IV 36 E. 3.3.1 zum Verbot des Selbstbelastungszwangs gemäss Art. 113 Abs. 1 und Art. 158 Abs. 1 lit. b StPO) [E. 4.1]. 

Nun gut, im Gegensatz zu Rüedi/Matt verstehe ich nichts von Zivilrecht und bin nicht in der Lage, mich damit hinreichend auseinanderzusetzen. Weil Rüedi/Matt aber auch gerne Strafrechtler sind, interessiert mich der Vorwurf gegenüber der Vorinstanz, die Vorinstanz habe dem Arbeitnehmer strafprozessuale Garantien zugesprochen, die nicht einmal ein Beschuldigter habe:

Die Vorinstanz warf der Beschwerdeführerin vor, dass sie dem Beschwerdegegner nicht vorgängig mitgeteilt habe, worum es beim Gespräch vom 20. September 2018 gehe.  

Die Beschwerdeführerin wendet zu Recht ein, dass die Vorinstanz mit dieser Forderung weiter geht als das Strafprozessrecht. Gemäss Art. 158 Abs. 1 lit. a StPO ist die beschuldigte Person erst zu Beginn der ersten Einvernahme darauf hinzuweisen, dass gegen sie ein Vorverfahren eingeleitet worden ist und welche Straftaten Gegenstand des Verfahrens bilden. Nach Art. 143 Abs. 6 StPO macht die einzuvernehmende Person ihre Aussagen aufgrund ihrer Erinnerung. Sie darf nur mit Zustimmung der Verfahrensleitung schriftliche Unterlagen verwenden; diese werden nach Abschluss der Einvernahme zu den Akten genommen. Diese Bestimmung will sicherstellen, dass die einvernommene Person ihre Aussage im Zwiegespräch mit der einvernehmenden Person entwickelt und nicht etwa eine vorbereitete schriftliche Erklärung referiert. Deshalb bedarf der Rückgriff auf Unterlagen der Zustimmung der Verfahrensleitung (GUNHILD GODENZI, in: Donatsch/Lieber/ Summers/Wohlers [Hrsg.], Kommentar zur Schweizerischen Strafprozessordnung StPO, 3. Auflage, Zürich 2020, N. 37 zu Art. 143 StPO) [E. 4.4.1]. 

Was das Bundesgericht hier übersieht ist Art. 201 StPO oder das Recht auf Verteidigung oder das Recht zu Schweigen. Das Obergericht ZH ging also keineswegs über die strafprozessualen Garantien hinaus.

Schliesslich deutet das Bundesgericht an, dass interne Untersuchungen jedenfalls im Hinblick auf mögliche Kündigungsgründe Unsinn sind.

Die Vorinstanz scheint aus den Augen zu verlieren, dass auch im Arbeitsrecht das Prinzip der Kündigungsfreiheit gilt. Es bedarf grundsätzlich keiner besonderen Gründe, um zu kündigen. Ihre Grenzen findet die Kündigungsfreiheit nur im Missbrauchsverbot. Die Vorinstanz beurteilte die interne Untersuchung der Beschwerdeführerin mit einem überzogenen Massstab, der über die strafprozessualen Anforderungen hinausging. Sie verlangte von der Beschwerdeführerin teilweise mehr als von einer Strafverfolgungsbehörde gefordert werden dürfte (E. 4.5). 

Mich interessiert ja eher, wie es sich mit der strafprozessualen Verwertbarkeit bzw. Verwendbarkeit der Beweise im Strafverfahren verhält, die in der internen Untersuchung erhoben wurden. Dazu sind noch viele Fragen offen und dieser arbeitsrechtliche Entscheid lässt wenig Gutes erahnen.