Keine Verurteilung gestützt auf umstrittenen Polizeirapport
Nach Auffassung des Kantonsgerichts Graubünden sind Polizeirapporte keine verwertbaren Beweismittel. Es stellte dann aber trotzdem auf einen Polizeirapport ab, weil dessen Angaben durch eine DVD “weitgehend bestätigt” wurden. Das Bundesgericht sieht es genau umgekehrt. Es bestätigt seine – mir nicht einleuchtende – Rechtsprechung, wonach ein Polizeirapport ein verwertbares Beweismittel darstelle. Es heisst die Beschwerde des Verurteilten hingegen gut, weil ihm das Ergänzungsfragerecht gegenüber den rapportierenden Beamten verweigert worden war (BGer 1B_1057/2013 vom 19.05.2014).
Zu den Rapporten als Beweismittel:
Die Strafbehörden setzten zur Wahrheitsfindung alle nach dem Stand von Wissenschaft und Erfahrung geeigneten Beweismittel ein, die rechtlich zulässig sind (Art. 139 Abs. 1 StPO). Beweismittel sind unter anderem die von den Strafbehörden zusammengetragenen Akten (Art. 100 Abs. 1 lit. b StPO). Die Polizei ist eine Strafverfolgungsbehörde (Art. 12 lit. a und Art. 15 StPO). Zu den erwähnten Akten gehört der Polizeirapport. Dieser ist ein zulässiges Beweismittel (E. 2.3).
Ich würde mich nicht mehr wundern, wenn demnächst auch die Anklageschrift als Beweismittel qualifiziert würde. Mit der zitierten Argumentation des Bundesgerichts wäre dies jedenfalls ohne Weiteres möglich. Das Bundesgericht stellt dann aber immerhin klar, dass es dem Beschuldigten ermöglicht werden muss, den Beamten Ergänzungsfragen zu stellen und dass dieses Recht auch noch im Rahmen der Berufung geltend gemacht werden kann:
Der Beschuldigte verwirkt sein Recht auf die Stellung von Ergänzungsfragen nicht dadurch, dass er es erst im Rahmen der Berufung geltend macht (Urteil 6B_510/2013 vom 3. März 2014 E. 1.3.2 mit Hinweisen) [E. 2.3].
[Die Vorinstanz] hält zunächst fest, der Polizeirapport sei umstritten und mangels Einvernahme und Befragung der Polizisten nicht verwertbar. Entgegen dieser Argumentation stellt sie anschliessend darauf ab, weil der Polizeirapport durch eine DVD-Aufzeichnung “weitgehend” bestätigt werde. Die in sich widersprüchliche Beurteilung ist nicht haltbar. Der Beschwerdeführer erhielt nach der vorinstanzlichen Feststellung keine Gelegenheit, den Beamten dazu Fragen zu stellen (vgl. dagegen Urteile 6B_481/2013 vom 13. März 2014 E. 1 und 6B_244/2011 vom 20. Juni 2011 E. 1.4).[E. 2.4].
Ergebnis: Auf einen inhaltlich bestrittenen Polizeirapport darf nur abgestellt werden, wenn der Beschuldigte die rapportierenden Beamten befragen kann.
Im Ergebnis ändert sich nichts: Der Polizeirapport mag als Beweismittel qualifiziert werden oder nicht. Entscheidend ist, dass er per se nicht ohne Weiteres zu Lasten des Beschuldigten verwertbar ist. Sind Angaben der Polizeibeamten im Rapport strittig, sind die rapportierenden Beamten als Zeugen einzuvernehmen, unter Wahrung der Parteirechte.
Die rapportierenden Beamten können sich ja jeweils nicht mehr erinnern und bestätigen einfach, dass sie damals – als sie noch wussten, was sie schrieben – bestimmt nicht unzutreffend rapportiert haben. Dazu kommt, dass auf den Rapport offenbar nur dann nicht abzustellen ist, wenn der Beschuldigte ausdrücklich bestreitet und ausdrücklich die Befragung beantragt. Ich kenne Beschuldigte, die das nicht wissen. Ich bleibe dabei, dass ein Rapport kein Beweismittel sein kann, das Grundlage für ein Strafurteil bilden kann. Der Rapport enthält eher Hinweise auf Beweismittel, die dann justizförmig zu erheben sind (was ja in der Regel auch geschieht).
Wenn sich die Beamten an ihre wesentlichen Wahrnehmungen als Zeugen nicht mehr erinnern können, dann muss dies m.E. zu einem Freispruch führen. Dem Rapport kommt in der Regel jedoch auch beweismässige Bedeutung zu, wenn darin vor Ort erhobene Aussagen oder Beobachtungen der Polizisten wiedergegeben werden. Diese spielen bei der Würdigung der übrigen formgültig erhobenen Beweismittel häufig eine Rolle, ein Schuldspruch darf sich aber natürlich nicht direkt und wesentlich auf Angaben im Rapport abstützen. Im Ergebnis sind wir uns wie gesagt vermutlich einig.