Keine Verwertung nach Verletzung der Belehrungspflichten
Der BGH orientiert in einer Pressemitteilung über eine Entscheidung zu den Belehrungspflichten der Strafverfolgungsbehörden (Urteil vom 10. Mai 2006 – 3 Ks 21 Js 1896/03, zur Zeit noch nicht vorliegend, später aber hier abrufbar). Aus der Pressemitteilung:
Die Revision des Angeklagten hatte mit einer Verfahrensrüge Erfolg. Der Bundesgerichtshof hat beanstandet, dass die Schwurgerichtskammer bei der Urteilsfindung die Angaben des Angeklagten bei zwei polizeilichen Vernehmungen verwertet hat, bei denen dieser zu Unrecht nicht als Beschuldigter belehrt worden war. Der Angeklagte, der kurz nach der Tat eine Vermisstenanzeige bei der Polizei erstattet hatte, war im folgenden halben Jahr von der Polizei fünfmal als Zeuge vernommen worden, noch bevor in dieser Sache ein Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts einer Straftat eingeleitet worden war. Die Strafverfolgungsbehörden hatten hiervon abgesehen, weil nach ihrer Beurteilung keine Tatsachen vorlagen, die einen konkreten und ernsthaften Tatverdacht auf Tötungsverbrechen begründet hätten, auf Grund dessen sie sich hierzu verpflichtet gesehen hätten.
Der Bundesgerichtshof hat entschieden, dass die Beurteilung der Verdachtslage durch Staatsanwaltschaft und Polizei zwar nicht zu beanstanden ist, da der Tatverdacht zur Zeit der Vernehmungen weitgehend auf kriminalistischer Erfahrung beruhte. Eine Pflicht zur Beschuldigtenbelehrung habe gleichwohl bestanden, weil die Ermittlungsbeamten bei der ersten der beiden von der Revision angegriffenen Vernehmungen und danach ein Verhalten gezeigt hätten, aus welchem sich für den Angeklagten habe ergeben müssen, dass sie ihm als Beschuldigten begegneten. Ein solcher Verfolgungswille der Ermittlungsbeamten ergebe sich aus dem Ziel, der Gestaltung und den Begleitumständen dieser Vernehmung und einer darauf folgenden Suchmaßnahme mit Leichensuchhunden auf dem Anwesen des Angeklagten. Die Vernehmung habe vornehmlich dazu gedient, mittels kriminalistischer Taktik einen Tatnachweis gegen den Angeklagten, von dessen mutmaßlicher Täterschaft sich der Beamte überzeugt gezeigt habe, zu ermöglichen oder einen gegebenenfalls erst später möglichen Tatnachweis zu erleichtern. Die Vernehmung sei von Vorhalten und Fragen geprägt gewesen, die erkennbar auf “Schwachstellen” in den bisherigen Aussagen gezielt und zuletzt in eindringlicher Form auf ein Geständnis hingewirkt hätten (etwa: “Das Gewissen plagt Sie nicht?”) (Hervorhebungen duch mich).
Wie ist das eigentlich in der Schweiz? So auf die Schnelle und wegen unserer 29 Strafprozessordnungen verallgemeinert:
- Belehrungspflichten nur in Untersuchungshaft (ausser im Kanton Solothurn, wo auch ausserhalb der Haft zu belehren ist).
- Verwertbarkeit trotz Verletzung der Belehrungspflicht dank (immer) überwiegenden öffentlichen Interesses (auch im Kanton Solothurn).
- Ergebnis: Es ist völlig egal, ob die Strafverfolger ihren Pflichten nachkommen oder nicht.
Ob die Untersuchungsbehörden ihren Hinweispflichten nachkommen, ist zumindest im Kanton Zürich nicht völlig egal: vgl. ZR 102 /2003) Nr. 34.
Danke für den Hinweis. Aus dem Entscheid: