Keine Waffengleichheit im Strafprozess

Aus einem kürzlich online gestellten Urteil des Bundesgerichts (6S.20/2007 vom 06.03.2007) erhellen schier unerträgliche Unzulänglichkeiten in Strafprozessen.

Der Beschwerdeführer wurde wegen Mordes angeklagt und erstinstanzlich von Schuld und Strafe freigesprochen. Zweitistanzlich wurde zu 17 Jahren Zuchthaus verurteilt. Dagegen hatte er kein ordentliches Rechtsmittel, was als erste Unzulänglichkeit des Strafprozessrechts erscheint. Er ermöglicht Staatsanwälten, die erste Instanz mit möglichst geringem Aufwand durchführen zu lassen und dann erst vor zweiter Instanz, gegen deren Urteil der Beschuldigte kein ordentliches Rechtsmittel mehr hat, alles zu geben.

Mit seiner staatsrechtlichen Beschwerde blieb der Beschwerdeführer weitgehend aus formellen Gründen erfolglos:

Er schildert auf knapp 30 Seiten seiner staatsrechtlichen Beschwerde seine Würdigung der Beweise, die auf eine Täterschaft von D. deuten. Dass aber eine andere Lösung oder Würdigung in Betracht zu ziehen oder gar vorzuziehen wäre, genügt nach ständiger Rechtsprechung nicht zur Begründung von Willkür (E. 3.1).

Mit all diesen Ausführungen und weiteren mehr nimmt der Beschwerdeführer eine eigene Würdigung der sich aus den kantonalen Akten ergebenden Beweisen vor, stellt sie denjenigen des Kantonsgerichts gegenüber und bezeichnet sie als einleuchtender. Damit ist, wie bereits erwähnt, Willkür nicht dargetan. Hinzu kommt, dass er in all seinen Ausführungen die Auffassung des Kantonsgerichts nicht einmal als willkürlich bezeichnet (E. 3.3).

Eine weitere grobe Unzulänglichkeit besteht in der faktischen Verkürzung der Verteidigungsrechte, indem der Aufwand der Verteidigung oft nur teilweise entschädigt wird. Der amtliche Verteidiger rügte auch die Festsetzung seines Honorars, erfüllte aber auch in diesem Punkt die qualifizierten Begründungspflichten nicht. Erwähnenswert erscheint mir, was die Vorinstanz zu den Kosten ausführte:

Das Kantonsgericht führt aus, gestützt auf die Honoraransätze der Honorarordnung könne ein grosser Straffall praxisgemäss in rund 50 Stunden abgewickelt werden (vgl. Art. 21 HonO/SG). Gehe man für den vorliegenden, besonders aufwändigen und grossen Fall (bei dem mit besonderer Sorgfalt zahlreiche Indizien und Aussagen hätten geprüft und gewürdigt werden müssen) mit einem fremdsprachigen Angeklagten von einem stark erhöhten Aufwand des amtlichen Verteidigers von 120 Stunden aus, ergebe sich bei einem Stundenansatz von Fr. 180.– ein Pauschalhonorar von Fr. 22’000.– (nebst Barauslagen und 7,6 % MwSt). Für die amtliche Verteidigung im Berufungsverfahren rechtfertige sich ein Pauschalhonorar von Fr. 7’000.– (E. 4.2).

Leider geht aus dem Entscheid nicht hervor, wie viele Stunden der Verteidiger geltend gemacht hatte. Ich wage einfach mal aufgrund eigener Erfahrung zu behaupten, dass sich ein Verteidiger, der in einem solchen Fall für zwei Instanzen nur die zugestandenen 160 Stunden aufwendet, normalerweise am Rande der Sorgfaltspflichtverletzung bewegt. Vergleicht man den Fall mit demjenigen aus meinem letzten Beitrag, wo in einer Bagatellstrafsache CHF 20,000.00 zugesprochen wurden, zeigt sich die Kostenwillkür der Gerichte, die – ausser beim Bundesstrafgericht – immer nur die Verteidigung treffen. Staatsanwälte müssen ihren Aufwand nicht offenlegen.

Mit Nichtigkeitsbeschwerde rügte der Beschwerdeführer die Strafzumessung, scheiterte aber letztlich ebenfalls an der unzureichenden Begründung.

Ganz offensichtlich war auch dem Bundesgericht nicht ganz wohl bei der Sache. Anders kann ich mir jedenfalls nicht erklären, dass es die unentgeltliche Rechtspflege auch für die völlig ungenügende staatsrechtliche Beschwerde bewilligt und den Verteidiger mit immerhin CHF 3,000.00 entschädigt hat. Das ist zwar mit Sicherheit deutlich unter dem geleisteten Aufwand, aber um solche Details muss sich das Bundesgericht als letzte Instanz ja nicht kümmern.

Unfair oder nicht, der Beschwerdeführer hat seine 17 Jahre abzusitzen. Wie es ihm im Fall einer allfälligen Revision ergehen könnte, kann er sich an einem gleichentags im Internet publizierten Urteil des Bundesgerichts (6S.566/2006 vom 02.03.2007) vergegenwärtigen.