Klient c. Anwalt
Wenn ein Klient mittels Direkteingabe die Beschwerde, die er durch seinen Anwalt führen liess, zurückzieht, bewirkt er – Prozess- und Postulationsfähigkeit vorausgesetzt – die Abschreibung der Beschwerde (BGer 6B_40/2019 vom 25.06.2019, Einzelrichterin).
Die anwaltlich vertretene (prozess- und postulationsfähige) Partei ist nicht gehindert, persönlich Eingaben an das Bundesgericht zu richten. Dieses muss persönliche Parteieingaben – schon des Anspruchs auf rechtliches Gehör (Art. 29 Abs. 2 BV) wegen – im Rahmen der allgemeinen Verfahrensvorschriften beachten (Urteil 8C_674/2007 vom 6. März 2008 E. 2.1 mit Hinweis). Die Prozessfähigkeit umfasst die Befugnis, materiell die zu treffenden prozessualen Entscheidungen zu fällen, Rechtsmittel zu ergreifen, auf solche zu verzichten oder zurückzuziehen (vgl. BGE 132 I 1 E. 3.1 S. 5 mit Hinweis) [E. 1].
Wie das Bundesgericht die Prozess- und Postulationsfähigkeit der anwaltlich vertretenen Partei prüft, ist dem Entscheid nicht zu entnehmen Im vorliegenden Fall richtete sich die Beschwerde gegen eine Verurteilung zu einer Freiheitsstrafe von 10 Jahren.
Interessant auch die Erwägungen zur Kostenliquidation. Diesen ist immerhin zu entnehmen, dass die Beschwerde aussichtslos war. Sie spricht aber auch von einem bereits erstellten Referat:
Wer eine Beschwerde zurückzieht, ist in der Regel, vorbehältlich besonderer Umstände, die hier nicht gegeben sind, als unterliegende Partei zu betrachten. Da zum Zeitpunkt des Rückzugs der Beschwerde die Sache bereits spruchreif und das Referat erstellt war, rechtfertigt es sich nicht, auf die Erhebung von Gerichtskosten zu verzichten (E. 2).
Hat der Beschwerdeführer nun Anspruch auf das Referat? Er hat doch dafür bezahlt.
Der Dumme ist hier einmal mehr der der Anwalt, dessen Aufwand niemand entschädigen wird.
Wieso ist der Anwalt “einmal mehr” der Dumme? Und wieso sollen seine Aufwände nicht entschädigt werden? Der Gute hat bestimmt einen Vorschuss einverlangt. Und sonst wird er seine Aufwände in Rechnung stellen und warten, bis der Klient bezahlt. Falls der Klient (Überraschung Überraschung) nicht bezahlt, dann steht der Kollege eben so da wie zig andere.
Vorschuss bei beantragter URP? Wenn URP abgewiesen wird, ist der Anwalt immer der Dumme, oder übersehe ich da etwas?
Denkbar ist ein bedingter KV. Bedingt insofern, dass der KV abhängig davon gemacht wird, ob der Antrag auf UP/URB gutgeheissen wird. Diese Herangehensweise halte ich für zulässig. Insbesondere da die mögliche Kostentragungspflicht die Streitfreude manchmal erheblich dämpft….
… und nur noch der Reiche sich leisten kann sein Recht durchzusetzen. Tolle Sache.
Sehr geehrter Herr Tades
Rechtsanwälte können in der Regel gut einschätzen, ob ein Anliegen Aussicht auf Erfolg hat oder ob die reelle Gefahr besteht, dass ein Anliegen als aussichtslos gewertet werden könnte. Im letzteren Fall ist es durchaus vertretbar, einstweilen einen KV zu fordern. Bei Anliegen, die Aussicht auf Erfolg haben, kann zugunsten des Klienten darauf verzichtet werden. So ist sichergestellt, dass derjenige, welcher wirklich etwas zu erreichen hat, dies auch erreichen kann, obwohl er arm ist.
@Arm und Reich: So einfach ist es nicht. Ich würde eine BGG-Beschwerde, die ich selbst als aussichtslos einschätze, sicher nicht führen, egal ob der Klient bezahlen kann oder nicht. Meine Einschätzung zu den Chancen einer Beschwerde ist aber leider nicht massgebend. Es gibt daher nur eine saubere Lösung: keine armenrechtlichen Fälle ans Bundesgericht ziehen. @Tades liegt völlig richtig: es beschwert sich nur, wer es sich leisten kann oder wer einen Anwalt hat, der die Erfolgsaussichten einschätzen und das Risiko auf sich nimmt.
@Kj: Ich sage nur, wenn der Klient unbedingt eine aussichtslose Beschwerde führen will, so kann man als Anwalt einstweilen einen KV einverlangen, um sich finanziell abzusichern (falls man überhaupt bereit ist, aussichtslose Beschwerden zu führen, was Sie nicht tun, was durchaus für Sie spricht). Der Ausgangspunkt war ja, dass der Anwalt bei Aussichtslosigkeit von niemandem entschädigt werde, was in dieser Absolutheit nach meiner Meinung eben nicht zutrifft. Ist die Aussichtslosigkeit nicht so klar einschätzbar, besteht tatsächlich ein Risiko. Ich denke, hier muss der Anwalt abschätzen, ob er dieses eingeht oder einen einstweiligen (allenfalls auch kleinen) KV verlangt. Ich sehe durchaus, dass es für Anwälte in solchen Fällen nicht leicht sein kann. Die Stossrichtung, dass aussichtslose Beschwerden vom Staat nicht bezahlt werden sollten, erachte ich trotzdem als richtig.
@Arm und Reich: Durchaus einverstanden. Ein Problem liegt darin, dass man immer erst hinterher erfährt, ob eine Beschwerde aussichtslos war. Und wenn sich die Meinung durchsetzt, dass man in einer solchen Konstellation trotz URP-Gesuchs einen Kostenvorschuss verlangen darf, bin ich etwas beruhigt. Ich bezweifle aber, dass das als mit dem Berufsrecht vereinbar beurteilt würde.
Ich sehe Ihre Bedenken betreffend Berufsrecht. Ich möchte festhalten, dass ich von einem bedingten Kostenvorschuss spreche. Selbstverständlich schriftlich vereinbart und mündlich erläutert. Meichssner führt diesbezüglich aus:
“Der Anwalt als potenzieller unentgeltlicher Rechtsbeistand steht nicht selten vor dem Problem, dass die Gewährung der unentgeltlichen Rechtspflege fraglich ist und mit einer Verweigerung gerechnet werden muss, nachdem schon beträchtlicher Aufwand angefallen ist. Dem Anwalt muss es in solchen Zweifelsfällen gestattet sein, vom Mandanten einen bedingten Kostenvorschuss zu verlangen, der zurückzuzahlen ist, wenn die beantragte unentgeltliche Rechtspflege doch noch gewährt wird. Einem Anwalt ist es nur dann verboten, von der mittellosen Partei zusätzlich ein Honorar zu verlangen, wenn er tatsächlich als unentgeltlicher Rechtsbeistand eingesetzt worden ist, was bei einem pendentem Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege gerade nicht der Fall ist (vgl. m. w. H. Meichssner,
Aktuelle Praxis der unentgeltlichen Rechtspflege, FN 125, in: Jusletter vom 7.12.2009 FN 25).”
Weiterhin kenne ich nur noch den Entscheid der Anwaltskommission Obwalden vom 16. Juni 2014. Kennen Sie noch andere Entscheide diese Frage betreffend?
Etwas entgegen Meichssner ist folgender BGE: 2A.196/2005 “2.3 Auch die vom Obergericht aus dem dargestellten Sachverhalt gezogenen rechtlichen Schlussfolgerungen sind nicht zu beanstanden. Es ist ständige und allgemein gültige Praxis, dass die Rechnungsstellung an die verbeiständete Partei eine disziplinierungswürdige Standeswidrigkeit darstellt; der amtlich bestellte Rechtsbeistand darf sich von der verbeiständeten Partei nicht entschädigen lassen (…). Das gilt auch für Kostenvorschüsse, und zwar nicht nur ab Verbeiständung. Ist das Gesuch um Verbeiständung für das Scheidungsverfahren eingereicht, darüber aber noch nicht entschieden worden, darf der Anwalt von seiner Klientschaft ebenso wenig Kostenvorschüsse einfordern.” Allerdings ist der BGE relativ alt und man muss vermutlich differenzieren. Im konkreten Fall hat sich der Anwalt noch mehr geleistet und er verlangte auch nach Einreichung des Gesuchs KVs.
Ich bin mir der Problematik durchaus bewusst. Aber einen Entscheid unter Verweis auf die mutmasslich offensichtliche Aussichtslosigkeit nicht weiterzuziehen, entgegen der klaren Instruktion der Klientschaft, ist berufsrechtlich auch heikel. Schlussendlich eine Entscheidung zwischen Pech und Schwefel bzw. mit Übernahme des Risikos durch den Anwalt.
Die Anwaltskammer St. Gallen hat in einem Entscheid vom 29. April 2014 solche “bedingten” Kostenvorschüsse als unzulässig betrachtet. Neben dem erwähnten BGer 2A.196/2005 ist auch zu beachten, dass geleistete Kostenvorschüsse gegenüber den Behörden bzw. Gerichten offenzulegen sind, da eine allfällige Entschädigung aus der Staatskasse entsprechend reduziert wird.
http://ww2.gerichte.sg.ch/home/dienstleistungen/rechtsprechung/kantonsgericht/entscheide-2014/aw-2013-82.html
Danke für den Hinweis. Die Offenlegungspflicht ist selbstverständlich.