Klientenverrat

In einem über sieben Jahre dauernden bernischen Strafverfahren hat die Verfahrensleitung den amtlichen Verteidiger auf Antrag des Beschuldigten ausgewechselt. Dagegen führte die Staatsanwaltschaft, die den bisherigen Verteidiger bevorzugt hätte, erfolgreich Beschwerde an das Obergericht. Dessen Entscheid wiederum passte dem Beschuldigten – und auf dessen Beschwerde hin – auch dem Bundesgericht nicht (BGer 1B_211/2014 vom 23.07.2014).

Es wirft dem bisherigen Verteidiger vor, nicht mehr abstrahieren zu können und nicht mehr über der Sache zu stehen:

Aus den Akten ergeben sich tatsächlich Anhaltspunkte, dass der Beschwerdeführer seinen amtlichen Verteidiger aus verfahrenstaktischen Gründen wechseln wollte (Verlängerung des Verfahrens vor dem Hintergrund ablaufender Verjährungsfristen für bestimmte Delikte) und deshalb einen Bruch des Vertrauensverhältnisses provozierte. Von der amtlichen Verteidigung muss in einer solchen Situation erwartet werden können, dass sie ihre Äusserungen gegenüber den Strafbehörden im Interesse einer wirksamen Verteidigung auf einer sachlichen Ebene hält und ihren Mandanten nicht von sich aus belastet. Das ist dem amtlichen Verteidiger während langer Zeit auch gelungen. Nachdem sein Mandant ohne sein Wissen in verschiedener Hinsicht selber aktiv geworden war und dem Regionalgericht Biel-Seeland in einer parallelen Untersuchung gar mitgeteilt hatte, der amtliche Verteidiger vertrete ihn nicht mehr, ersuchte dieser die befassten Strafbehörden mit Brief vom 4. November 2013 in sachlicher Form um Prüfung eines Vorgehens nach Art. 134 Abs. 2 StPO. Nach den unwidersprochen gebliebenen Feststellungen der Vorinstanz hat er auch noch in einem Brief vom 3. Februar 2014 an das Regionalgericht Bern-Mittelland erklärt, das Vertrauensverhältnis sei aus seiner Sicht ungestört. In einer weiteren Eingabe vom 5. März 2014 an das Regionalgericht hat er jedoch darum gebeten, aus dem amtlichen Mandat entlassen zu werden und – unter Bezugnahme auf die Anzeige an die Anwaltsaufsichtsbehörde und die Anordnung des Verteidigerwechsels durch das Regionalgericht – ausgeführt, er “staune, wie einfach die Berner Justiz auszutricksen ist und (er) möchte am unwürdigen Spiel nicht mehr teilnehmen”. Damit hat er gegenüber den Strafbehörden erklärt, seinem Mandanten sei es gelungen, sie durch einen Trick bzw. eine durchsichtige Täuschung zur gewünschten Disposition (Verteidigerwechsel) zu bewegen. Gewiss hat er damit (auch) seinem Unmut Ausdruck verschafft. Indessen hat er – darüber hinaus – den Strafbehörden mitgeteilt, sein Mandant wende ihnen gegenüber Täuschungen an und sie fielen darauf herein. Solche Äusserungen lassen objektiv darauf schliessen, dass das Vertrauen zwischen dem amtlichen Verteidiger und seinem Mandanten gestört ist und der Verteidiger sich selber in einem Masse betroffen fühlt, dass er nicht mehr in der Lage ist, zu abstrahieren und über dem Vorgefallenen zu stehen. Dieser Befund wird im Übrigen durch ein weiteres Schreiben des amtlichen Verteidigers an das Regionalgericht vom 22. Mai 2014 bestätigt. Darin führte der Verteidiger aus: “Wer die Akten kennt, weiss, warum Herr A. mit allen Mitteln versucht, die Hauptverhandlung nicht vor Ende August 2014 stattfinden zulassen. Er macht dies brillant…”. Auch diese Formulierungen lassen erkennen, dass der amtliche Verteidiger seinem Mandanten manipulatives Verhalten gegenüber den Strafbehörden unterstellt und diese darauf hinweist. Zwar ist diese Eingabe erst einige Tage nach Ergehen des angefochtenen Beschlusses verfasst worden, weshalb sie eine (unzulässige) neue Tatsache darstellt (Art. 99 Abs. 1 BGG) und deshalb grundsätzlich unbeachtlich bleiben muss. Soweit sie ein weiteres Begehren und Verfahren um Wechsel der amtlichen Verteidigung auslösen könnte, rechtfertigt es sich jedoch, sie im Sinne einer Nachkontrolle miteinzubeziehen. Aus den schriftlichen Äusserungen wird deutlich, dass der amtliche Verteidiger das prozessuale Verhalten seines Mandanten missbilligt und seiner Kritik gegenüber den Strafbehörden auch unmissverständlich Ausdruck verleiht. Unter diesen Umständen kann nicht mehr von einem intakten Vertrauensverhältnis gesprochen werden. Vielmehr erscheint dieses – objektiv betrachtet – erheblich gestört, so dass eine wirksame und engagierte Verteidigung durch den bisherigen amtlichen Verteidiger nicht mehr gewährleistet ist. Dass der Beschwerdeführer die Reaktion seines Verteidigers provoziert haben mag, ändert daran nichts, zumal angesichts der Umstände nicht von einem offenbaren Rechtsmissbrauch gesprochen werden kann; der amtliche Verteidiger muss in solcher Situation die nötige Distanz wahren können. Die Beschwerde erweist sich daher als begründet (E. 2.3).

Vielleicht war der Kollege ja aber auch einfach unverfroren clever und hat insgeheim der Strategie seines Mandanten zum Durchbruch verholfen.