Klientenverrat und andere Berufspflichtverletzungen

Das Bundesgericht heisst eine Laienbeschwerde gut und bewilligt einem Beschuldigten im Ergebnis den Wechsel des amtlichen Verteidigers (BGer 7B_141/2022 vom 02.11.2023). Die Vorinstanz (Obergericht ZH) hatte den Wechsel noch verweigert.

Der sehr zu begrüssende Entscheid des Bundesgerichts zeigt die Strafjustiz von ihrer allerdunkelsten Seite. Geradezu unerträglich ist hier aber das Verhalten des “Strafverteidigers*, der seinen Mandanten schlicht und einfach verraten hat und von der Berufsausübung ausgeschlossen werden müsste:

3.2. Vorliegend hat sich der Beschwerdegegner indessen nicht darauf beschränkt, dem Beschwerdeführer zu einer bestimmten Prozessstrategie zu raten. Vielmehr ergibt sich aus dem angefochtenen Entscheid, dass der Beschwerdegegner in seiner Stellungnahme an die Oberstaatsanwaltschaft zum Antrag des Beschwerdeführers auf Wechsel der amtlichen Verteidigung ausgeführt hat, er könne sich vorstellen, dass “seine Empfehlung, den Vorschlag der Staatsanwaltschaft bezüglich der Durchführung eines abgekürzten Verfahrens zu prüfen, das Mandatsverhältnis nachteilig beeinflusst habe”. Weiter ergibt sich aus den Vorakten, dass der Beschwerdegegner in ebendieser Stellungnahme ausgeführt hat, “dem Klienten [sei] aus anwaltlicher Sicht ein abgekürztes Verfahren anzuraten” gewesen.  

Im Zusammenhang mit einem vom Beschwerdeführer eingereichten (handschriftlichen) Haftentlassungsgesuch und dem angeblich eigenmächtigen Rückzug dieses Gesuchs durch den Beschwerdegegner hält die Vorinstanz sodann fest, letzterer habe gegenüber der Staatsanwaltschaft erklärt, “er dulde in Sachen Haftentlassungsgesuche keine ‘Alleingänge’ des Beschwerdeführers”. Aus den Vorakten ist darüber hinaus ersichtlich, dass der Beschwerdegegner im Zusammenhang mit diesem Haftentlassungsgesuch gegenüber der Staatsanwaltschaft zusätzlich ausführte, er habe seinem Mandanten anlässlich seines letzten Besuchs (im Gefängnis) mitgeteilt, dass “ein Haftentlassungsgesuch erst sinnvoll ist, nachdem sämtliche Beweise erhoben wurden – insbesondere nach Auswertung der IT-Mittel”. 

3.3. Die aufgeführten Aussagen des Beschwerdegegners sind problematisch. Nicht nur legt er gegenüber der Staatsanwaltschaft den Inhalt von (privilegierten) Klientengesprächen und die (seines Erachtens) optimale Verteidigungsstrategie offen, sondern er gibt zugleich auch zu verstehen, dass er das Vorgehen des Beschwerdeführers (Verzicht auf ein abgekürztes Verfahren, Haftentlassungsgesuch) für wenig erfolgversprechend hält. Ein derartiges Verhalten liegt offenkundig nicht im Interesse des Mandanten und ist ohne Weiteres geeignet, das Vertrauensverhältnis zwischen diesem und dem amtlichen Verteidiger negativ zu beeinträchtigen (vgl. Urteil 6B_76/2020 und 6B_122/2020 vom 10. März 2020 E. 4.2).  

Hier stellen sich u,a, folgende Fragen:

  • Welche Verletzung der Berufspflichten wiegt schwerer, diejenige des Anwalts oder diejenige der Vorinstanz und der Beschwerdegegnerin?
  • Kann das Verfahren überhaupt noch fair weitergeführt werden?
  • Hätte er sich der Kollege umgekehrt mit ebenso illegalen Mitteln für seinen Klienten eingesetzt, wäre er heute noch im Anwaltsregister eingetragen?