Klima-Aktivisten ohne achtenswerte Beweggründe
In einem neuen Grundsatzentscheid heisst das Bundesgericht eine Beschwerde der Staatsanwaltschaft GE gut (BGE 6B_620/2022 vom 30.03.2023, Publikation in der AS vorgesehen). Diese hat ein Urteil des Kantonsgerichts angefochten, das dem Verurteilten (Sachbeschädigung) Strafmilderung aus achtenswerten Beweggründen (Art. 48 lit. a Ziff. 1 StGB) zugebilligt hatte.
Ich beschränke mich hier auf ein Zitat aus der Medienmitteilung des Bundesgerichts:
Angesichts der begangenen Sachbeschädigung im konkreten Fall liegt dem verfolgten Ziel kein achtenswertes Motiv zu Grunde. Der verursachte Schaden (total 2250 Franken, 410 Franken wurden dem Verurteilten auferlegt) kann zwar nicht als erheblich betrachtet werden, es handelt sich aber auch nicht nur um einen blossen Bagatellfall. Ein Handeln “in schwerer Bedrängnis” oder “unter grosser seelischer Belastung” im Sinne von Artikel 48 StGB fällt vorliegend ebenfalls nicht in Betracht.
…richtiges Urteil….alles andere wäre ja ein Witz…
Falls Sie das ernst meinen, stimme ich Ihnen zu
@pk: Ich glaube, der Entscheid ist richtig, ja.
Man beachte den “hint” in Richtung der sog. “Klima-Kleber”, aus ebenderselbigen Medienmitteilung:
“In Betracht fallen könnte unter Umständen eine freie Strafmilderung wegen achtenswerter Beweggründe bei gewaltfreien Aktionen wie einem sehr kurzfristigen Sitzprotest auf öffentlichen Strassen, ohne dass dabei der Verkehr gestört oder die öffentliche Sicherheit gefährdet wird.”
Was bitte, wenn nicht sowas, soll denn ein „achtenswerter Beweggrund“ sein? Und was hat die Tat mit dem Motiv zu tun? Dieses Argument (kein Bagatelldelikt) spielt doch keine Rolle bei der Frage, ob eben aus “achtenswertem Beweggrund” gehandelt wurde. Lausanne richtet sich mal wieder zu Grunde.
Aber fragen wir doch mal den BSK: „Ethisch hochstehende Gesinnung“, „Grundsätze der Ethik“, „öffentliches Gewissen“, „erkennbar wesentlich geringerer Schuldvorwurf“, „sittliche Qualität der Beweggründe“. Alles zutreffend i.c. (das heisst „in casu“; habe ich im Studium gelernt).
Dann die Einschränkung, dass die „Einstellung des Täters zu den rechtlich geschützten Werten“ auch noch relevant sein soll. Sowas kann natürlich auch nur ein Jurist ins Gesetz hineinhalluzinieren. Und zudem können die „achtenswerten Beweggründe“ unter Umständen auch noch „in den Hintergrund treten“. Wahrscheinlich hatte man einen Fall auf dem Tisch, bei dem man sich gezwungen sah, solche zusätzlichen Scheidewege einzubauen, weil nicht sein konnte, was nicht sein durfte. So läufts ja schon gerne Mal, wenn das gewünschte Ergebnis etwas mehr Dehnübungen braucht als sonst.
Und der Zusammenhang zwischen Beweggrund und Tat muss auch noch „eng“ sein. (Aber so wie ich dieses Sumpfgebiet der Juristerei kenne, geht hier was unter und taucht da wieder was auf, ja alles ist möglich.)
Anderer Kommentar: Der Beweggrund müsse „auf der oberen Hälfte der ethischen Wertskala einzuordnen sein“. Diese juristische Pseudogenauigkeit entspringt doch dem im inneren eines jeden Juristen noch vorhandenen Gefühl des Ungenügens (aus zu niedrigem Intellekt) für die exakten Wissenschaften. Es hat eben nur für UZH-Jus (Jus = Saft; man assoziiere etwa „Saftladen“) gereicht und nicht für die ETH.
Und schliesslich gilt laut BGer das ganze Zeugs der achtenswerten Beweggründe nicht, wenn die Tat „einfach zu heftig“ (Ausdeutschung ins 21. JH von mir) ist. Das BGer halluziniert sich das Recht zurecht. Haben die eigentlich Lichteinfall ins Büro in Lausanne?
Fazit: Der Art. 48 lit. whatever Ziff. whatever Schtegebe – ein schöner Artikel, der die Beliebigkeit des juristischen Tuns aufzeigt (so wie fast alle anderen Artikel auch). Ich habe mein Studium zum Glück noch im ersten Semester geschmissen, nachdem ich bei meiner ersten OR41-Recherche in der UZH-Bib fast zum Schames-Sprung in dieses unnötige Riesenloch geschritten wäre. (Es wird als „architektonisch wertvoll“ bezeichnet.) Heute schlafe ich ruhig, weil ich damals schon erkannte, dass ich niemals „einer von denen“ werden möchte.
Du wiederholst dich. Es war schon beim ersten Mal nicht spannend und wird mit jeder Wiederholung kaum spannender (wie die meisten Sachen im Leben). Darf ich aber – im Sinne der Weiterbildung – die Sichtung der beiden nachfolgenden Beiträge zur Thematik “Klimawandel als Notstand” nahelegen?
https://youtu.be/hDw6BIQ_HG8
https://youtu.be/qJVus88OBj8
Wenn ich das Bundesgericht hier richtig verstehe, kommt eine Strafmilderung für achtenswerte Beweggründe nur noch bei straflosem Verhalten in Frage. Innovativ!