Kniffliges zum Strafbefehlsverfahren
Die Staatsanwaltschaft des Kantons Aargau hat einen Strafbefehl erlassen, gegen den der Beschuldigte Einsprache erhob. Ein paar Monate später hob die Staatsanwaltschaft ihren Strafbefehl auf, wogegen der Beschuldigte erfolgreich Beschwerde an das Obergericht führte (zur Begründung s. unten). Den Beschwerdeentscheid zog die Staatsanwaltschaft an das Bundesgericht, das aber darauf nicht eintrat (BGer 1B_620/2011 vom 27.02.2012).
Der Hintergrund dieser reichlich merkwürdigen Geschichte geht aus dem Entscheid des Bundesgerichts hervor. In der Zwischenzeit zog nämlich der Beschuldigte seine Einsprache zurück, was der Staatsanwaltschaft wiederum nicht passte, weil sie mittlerweile offenbar zur Auffassung gelangte, die von ihr verhängte Strafe gemäss Strafbefehl sei zu tief. Sie teilte dem Beschuldigten (bzw. dem Verurteilten?) mit, trotz Rückzugs der Einsprache Anklage zu erheben. Der Rückzug der Einsprache sei unbeachtlich. Die genaue Chronologie, insbesondere der Zeitpunkt des Rückzugs der Einsprache, geht aus dem Entscheid des Bundesgerichts leider nicht hervor. Es begründet sein Nichteintreten (kein nicht wieder gutzumachender Nachteil im Sinne von Art. 93 Abs. 1 lit. a BGG b) wie folgt:
Erachtet das erstinstanzliche Gericht den Rückzug der Einsprache als unbeachtlich, dürfte es sich mangels Rechtskraft des Strafbefehls als befugt ansehen, eine höhere Strafe auszusprechen. Damit entstünde der Beschwerdeführerin kein Nachteil. Erachtete das erstinstanzliche Gericht den Rückzug der Einsprache dagegen als beachtlich und hielte es sich wegen der Rechtskraft des Strafbefehls nicht befugt, eine höhere Strafe auszusprechen, könnte die Beschwerdeführerin dagegen den Rechtsmittelweg beschreiten, womit der ihr entstandene Nachteil beseitigt werden könnte (E. 1.3.3).
Das Obergericht des Kantons Aargau hatte die Beschwerde gegen die Aufhebung des Strafbefehls übrigens damit begründet, die Strafprozessordnung sehe die “Aufhebung” des Strafbefehls durch Verfügung der Staatsanwaltschaft vor beabsichtigter Anklageerhebung nicht vor. Die Staatsanwaltschaft könne sich angesichts der abschliessenden gesetzlichen Regelung nicht auf den Grundsatz des allgemeinen Verwaltungsrechts berufen, wonach eine Behörde eine Verfügung bis zur Rechtskraft zurücknehmen könne. Diese Begründung erscheint mir als ziemlich wasserdicht, oder übersehe ich da etwas?
Zu beachten wird sein, dass die Einsprache nach Art. 356 Abs. 3 StPO “bis zum Abschluss der Parteivorträge zurückgezogen werden” kann. Ich wüsste nicht, wie sich die Staatsanwaltschaft aus diesem Dilemma, das sie sich selbst eingebrockt hat, herauswinden kann. Ich bin aber zuversichtlich, dass spätestens das Bundesgericht einen Weg finden wird.