Kollusionsgefahr nach vier Jahren U-Haft?
Der ehemalige Innenminister von Gambia bleibt für weitere sechs Monate in Untersuchungshaft, welche im Januar 2017 angeordnet worden war. Die Beschwerdekammer des Bundesstrafgerichts erkennt keine Gründe, welche gegen die Haftgründe der Flucht- und Kollusionsgefahr sprechen könnten (BStGer BH.2020.7 E. 7). Trotz notwendiger Verteidigung im Untersuchungsverfahren wird dem Ex-Minister die unentgeltliche Rechtspflege verweigert. Die Begründung ist in rechtlicher Hinsicht fast noch holpriger als sie es sprachlich ist:
10.2 Über die Gewährung des Rechts auf unentgeltliche Rechtspflege im vor ihr geführten Beschwerdeverfahren entscheidet die Beschwerdekammer selbst. Eine in der Strafuntersuchung eingesetzte amtliche Verteidigung wirkt im Haftbeschwerdeverfahren – jedenfalls wenn die beschuldigte Person beschwerdeführende Partei ist – nicht automatisch als unentgeltlicher Rechtsbeistand mit und zwar auch dann nicht, wenn die beschuldigte Person im Hauptverfahren notwendig verteidigt werden muss. Die unentgeltliche Rechtspflege kann bei Haftbeschwerden von der Nichtaussichtslosigkeit des konkret verfolgten Prozessziels abhängig gemacht werden. Als aussichtslos sind Begehren anzusehen, bei denen die Gewinnaussichten beträchtlich geringer sind als die Verlustgefahren und die deshalb kaum als ernsthaft bezeichnet werden können. Dagegen gilt ein Begehren nicht als aussichtslos, wenn sich Gewinnaussichten und Verlustgefahren ungefähr die Waage halten oder jene nur wenig geringer sind als diese. Bei Haftbeschwerden ist Aussichtslosigkeit mit Zurückhaltung anzunehmen (vgl. zuletzt u.a. Beschluss des Bundesstrafgerichts BH.2018.5 vom 28. August 2018 E. 9.2 m.w.H.).
10.3 Wie die vorstehenden Erwägungen aufzeigen, ist zu bezweifeln, dass die Gewinnaussichten überhaupt als ernsthaft bezeichnet werden können. Die Frage muss aber nicht vertieft werden, weil das entsprechende Gesuch des Beschwerdeführers bereits aus dem Grund abzuweisen ist, dass sich aus der Verweisung auf das eingereichte Formular betreffend unentgeltliche Rechtspflege im Verfahren SV.17.0026, das vom 17. Oktober 2017 datiert (BP.2020.73, act. 1.1) sowie auf die eingereichte Verfügung der Beschwerdegegnerin vom 4. Dezember 2017 betreffend amtliche Verteidigung (BP.2019.73, act. 1.2), und aus dem geltend gemachten Umstand, dass sich seine finanziellen Verhältnisse seither nicht geändert hätten (BP.2019.73, act. 1 S. 4), klar nicht erschliesst, dass der Beschwerdeführer nicht über die erforderlichen Mittel verfügt, für die durch das vorliegende Verfahren verursachten Kosten aufzukommen.
Soweit der Beschwerdeführer in diesem Zusammenhang rügt, die Beschwerdegegnerin habe diesbezüglich keine Abklärungen vorgenommen, jedenfalls nicht, dass er davon wisse, geht er fehl. Es obliegt grundsätzlich dem Beschwerdeführer – und nicht der Beschwerdegegnerin -, im Rahmen seines Gesuchs um unentgeltliche Rechtspflege seine Einkommens- und Vermögensverhältnisse umfassend darzulegen und soweit als möglich zu belegen. Abgesehen davon trifft auch nicht zu, dass die Beschwerdegegnerin keine Abklärungen zur finanziellen Situation des Beschwerdeführers vorgenommen habe. Anlässlich seiner Einvernahme vom 5. März 2018 (KZM 18 1055, Ordner Beilagen, Lasche 4, SV.17.0026, pag. 13-001-0475 ff.) machte der Beschwerdeführer auf Befragung keine Angaben zu seinen finanziellen Verhältnissen.
Die Verteidigung stellte sich in erster Linie gegen den allgemeinen Haftgrund des Tatverdachts, den das Bundesstrafgerichts aber weiterhin bejaht. Gut, dass ausgerechnet die schweizerische Bundesstrafjustiz dafür sorgen will, dass das schweizerische Strafrecht auch in Gambia durchgesetzt wird. Möglicherweise ist das ja auch etwas einfacher als im eigenen Land.
Mit der Zeit denke ich sie brauchen in der Schweiz eine EU oder wenigstens Europaratshilfe. 1997 wurde in meinem Land auf Ratschlag einer EU Mission zur Rechtstaatlichkeit die Pflichtverteidigung für Haftsachen eingeführt. Vorher hatten wir ein ähnliches Model wie sie. Irgendein Staatsanwalt schützt die Interessen des Beschuldigten . Die Kosten aus der Pflichtverteidigung werden seit 1997 später in der Hauptsache behandelt. Das eine Person in Haft sitzt, seine Einkommensverhältnisse belegen soll und dann noch die Amtliche Verteidigung verweigert, wird, obwohl er in Haft sitzt, ist schon ein Skandal. Das man Prozesschancen vorab in einem Vorurteil vorbringt ist ebenfalls wohl nur in Deutschland oder der Schweiz zu erklären.
Ich denke in ihrem Land macht der Geldbeutel alles aus. Es ist einer in Haft befindlichen Person in ihrem Land zu empfehlen irgendwo ein verstecktes Bankkonto zu haben um einen Privatverteidiger zu bezahlen. Besser noch, gehen sie lieber nach Hong Kong oder Singapur wenn sie als afrikanischer Politiker flüchten wollen.
@Brasaukas. Sie sagen: “Ich denke in ihrem Land macht der Geldbeutel alles aus.”
Und ich denke, dass kein Land auf der ganzen Welt für amtliche Anwälte in Strafverfahren derart viel Geld ausgibt wie die Schweiz.
Wo sonst auf der Welt erhält ein amtlicher Verteidiger zwischen 180 bis 230 Franken pro Stunde (Jahreseinnahmen bei Vollauslastung: Weit über 400k Euro)?
Wo sonst kann der amtliche Verteidiger praktisch von Anfang an zahllosen Einvernahmen teilnehmen, deren Zeit (inkl. Anreise) er in praktisch allen Kantonen 1:1 zum genannten Stundenansatz verrechnen darf?
Einige Kantone bezahlen sogar die amtliche Verteidigung bei klar aussichtslosen Beschwerden. Wo sonst auf der Welt werden Anwaltskosten für aussichtslose Rechtsmittel (Berufungen, Beschwerden) aus der Staatskasse bezahlt?
Warum hört man hier seit mehreren Jahren vermehrt hochdeutsch sprechende amtliche Strafverteidiger, wenn die notwendige/amtliche Verteidigung in der Schweiz angeblich doch so kleinlich ausgestaltet ist?
Bitte zeigen Sie mir das auf, dann muss ich nicht mehr polemisch sein und kann das sachlich diskutieren.
@Verfassungsrechtler: 400k bei Vollauslastung?
@herr brasauskas. Es muss differenziert werden. Vor dem zwangsmassnahmengericht haben die allermeisten einen verteidiger, sei es amtlich oder privat bestellt. Das sind i.d.R. Fälle notwendiger verteidigung, d.h. In denen eine verteidigung von gesetzes wegen vorhanden sein muss. Eine ANDERE frage ist, ob auch anspruch auf amtliche verteidigung besteht, um an ein weiteres gericht mit einem rechtsmittel (z. B. Beschwerde) zu gelangen. Bei all der geringschätzung gegenüber dem zmg geht bisweilen vergessen, dass dies auch ein gericht ist (nur so punkto rechtsweggarantie). Bei der beschwerde (rechtsmittel) wird der anspruch auf amtl. Verteidigung u.a. davon abhängig gemacht, ob die sache nicht aussichtslos ist. In anbetracht dessen, dass es sich um ein rechtsmittel handelt und bereits ein gericht entschieden hat, halte ich das für vertretbar. Es gibt weiss gott völlig aussichtslose beschwerden und ich bin der ansicht, es ist legitim, wenn der staat sagt, das bezahlen wir nicht. Bei der frage der aussichtslosigkeit geht es noch gar nicht um die finanziellen verhältnisse der beschuldigten person. Es ist also nicht zutreffend ihre kritik bezüglich geld mit dieser frage zu vermischen. Dies einige klarstellungen.
Ironie ist, wenn Leute aus Litauen das Schweizerische Rechtssystem kritisieren…das tut fast schon weh.
@Anonymous: Uns Schweizern würde etwas Demut gut anstehen. Wir sind nämlich alles andere als die grossen Vorbilder. Strafprozessual sind wir geistig doch immer noch in der Inquisition und praktisch für jeden Schritt, der uns langsam von ihr löst, brauchen wir einen Anstoss von aussen.
Sehr geehrter Herr Brasauskas
Die von Ihnen erwähnte Hilfestellung an die Schweizerische “Justiz” sollte im Ausland primär dadurch erfolgen, dass Urteile von Schweizerischen “Gerichten” im Ausland nicht mehr anerkannt bzw. vollstreckt werden können und auswanderungswilligen EU-Bürgern über die üblichen medialen Kanälen klargemacht wird, mit welchen Methoden dort agiert wird.
Wer sich nach erfolgter Aufklärung über diese Leute dann noch in dieses Land begibt, ist entweder völlig ahnungslos bis naiv oder bringt alle erforderlichen Charaktereigenschaften mit, die von der dortigen herrschenden Klasse erwünscht sind. Gleich und gleich gesellt sich eben gerne….