Krankhafte Aversion gegen den Kanton Freiburg
Heute weise ich auf einen neuen Entscheid des Bundesgerichts (BGer 6B_29/2008 vom 10.09.2008) hin, der mir in mehrfacher Hinsicht als denkwürdig erscheint. Wenn ich es richtig sehe, hatten sich die Vorinstanzen bei der Frage der Verhandlungsunfähigkeit auf ein derart abstruses Gutachten gestützt, dass auch das Bundesgericht selbst seine Tugenden (Rügerinzip) aus den Augen verloren hat. M.E. hätte die Beschwerde abgewiesen werden müssen. Worum es geht:
Ein Gutachten hat dem Beschwerdeführer für die beiden ersten Instanzen die Verhandlungsunfähigkeit bescheinigt. Vor Bundesgericht machte er geltend, die Verhandlungsunfähigkeit stelle ein andauerndes Prozesshindernis dar, weshalb das Strafverfahren definitiv hätte eingestellt werden müssen. Art. 6 Ziff. 1 EMRK, Art. 29 Abs. 2 BV und Art. 14 UNO-Pakt II garantierten dem Beschuldigten, persönlich an der Hauptverhandlung teilzunehmen. Daraus ergebe sich, dass ein Strafverfahren eingestellt werden müsse, wenn dieser unverschuldet dauernd verhandlungsunfähig sei.
Das Bundesgericht heisst die Beschwerde in Fünferbesetzung gut (BGer 6B_29/2008 vom 10.09.2008). Das Ergebnis düfte den Beschwerdeführer aber nicht befriedigen. Das Bundesgericht schliesst nämlich, dass die Verhandlungsunfähigkeit auf einem unbrauchbaren Gutachten beruhte. Sie hätte jedenfalls gestützt auf dieses Gutachten nicht bejaht werden dürfen. Zum Gutachten äussert sich das Bundesgericht wie folgt:
Insgesamt halten damit die Gutachten Dr. C.s der vom Richter vorzunehmenden Plausibilitätskontrolle in keiner Weise stand. Es ergibt sich aus ihnen nicht in einer auch für Laien nachvollziehbaren Weise, weshalb der Beschwerdeführer, der, jedenfalls von aussen betrachtet, ein unauffälliges Leben führt, mit einer Lebenspartnerin zusammenlebt, in Freiburg einer Arbeit nachgeht und ein anspruchsvolles Hobby pflegt, eine krankhafte Aversion gegen den Kanton Freiburg hat, die ihn beim blossen Anblick von dessen Insignien, Funktionären oder Magistraten augenblicklich lahmlegt. Der Strafappellationshof ist in Willkür verfallen, indem er auf dieses inkohärente Gutachten abstellte. Offensichtlich war er von diesem auch selber nicht überzeugt, jedenfalls bezeichnet er dessen Folgerung, der Beschwerdeführer sei dauerhaft verhandlungsunfähig, als für Aussenstehende “schwierig nachvollziehbar”(angefochtenes Urteil S. 9). Umso weniger hätte er bei der von ihm vorzunehmenden Beurteilung der Verhandlungsfähigkeit des Beschwerdeführers unbesehen darauf abstellen dürfen (E. 2.2.3, Hervorhebungen durch mich).
Offenbar hat das Bundesgericht hier eine Willkürrüge gutgeheissen, die der Beschwerdeführer gar nicht vorgetragen hatte. Dem Kantonsgericht trägt es auf, die Verhandlungsfähigkeit neu zu prüfen. Damit erreicht der “obsiegende” Beschwerdeführer aber wohl genau das Gegenteil dessen, was er angestrebt hatte.
Es liegt [am Kantonsgericht] zu entscheiden, ob er dazu den Beschwerdeführer vorladen und versuchen will, die Appellationsverhandlung in seiner Anwesenheit durchzuführen, um dann kraft eigener Anschauung über das weitere Vorgehen zu befinden, wenn sich die Befürchtungen Dr. C.s bewahrheiten sollten. Das grosse öffentliche Interesse an der Durchführung eines Strafverfahrens bei einem Kapitalverbrechen rechtfertigt jedenfalls, die vom Gutachter als mögliche Folgen angeführten gesundheitlichen Beeinträchtigungen des Beschwerdeführers – ein vorübergehendes, einige Wochen dauerndes Wiederaufleben der posttraumatischen Störung – in Kauf zu nehmen. Im Übrigen ist nicht auszuschliessen, dass sich die Ängste des Beschwerdeführers in der Zwischenzeit etwas gelegt haben, nachdem er nach dem bisherigen Verfahrensverlauf nicht mehr mit einer unbedingten Freiheitsstrafe rechnen muss. Will der Strafappellationshof hingegen zunächst ein neues Gutachten über den Gesundheitszustand des Beschwerdeführers einholen, so hat er dieses einem Experten zu übertragen, der bisher nicht mit dem Fall befasst war. Bezüglich Dr. C. ist festzuhalten, dass seine Unbefangenheit offensichtlich nicht mehr gegeben ist (E. 2.3, Hervorhebungen durch mich).