Lästige prozessuale Grundrechte verdrängt

Die neue AJP-Ausgabe (AJP 10/2013, 1525 ff.) enthält eine lesenswerte Entscheidbesprechung von Riedo zu einem Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 26. Juni 2013 (B-4830/2011). Im besprochenen Entscheid wurde die Betreiberin eines Spielcasinos zu einer “Sanktion” von gut CHF 3M verurteilt, weil sie einen spielsüchtigen Kunden zu spät gesperrt und dadurch einen Vorteil von ca. 2.8M erzielt habe (Art. 51 SBG).

Riedo äussert sich zur Rechtsnatur der Sanktion und damit zur vom BVerwG verneinten (!) Frage der Anwendung von Art. 6 EMRK. Er erklärt zunächst die drei Engel-Kriterien (vgl. dazu EGMR, Engel and others v. The Netherlands, Urteil vom 08.06.1976) und prüft die Verjährung der Sanktion. Er stösst sich u.a. an einer Erwägung des BVerwG, die m.E. nicht weniger als eine Absage an die “rule of law” ist, in der Literatur aber prominent vertreten wird:

 

Auch darf nicht ausser Acht gelassen werden, dass eine konsequente Übernahme strafrechtlicher Grundsätze und dabei insbesondere auch des Aussageverweigerungsrechts dazu führen würde, dass sich das Verwaltungsrecht nicht mehr anwenden und durchsetzen liesse (vgl. Patrick L. Krauskopf/Katrin Emmenegger, in: Bernhard Waldmann/Philippe Weissenberger [Hrsg.], Praxiskommentar VwVG, Zürich/Basel/Genf 2009, Art. 13 N 70, Hansjörg Seiler, Das [Miss-]Verhältnis zwischen strafprozessualem Schweigerecht und verwaltungsrechtlicher Mitwirkungs- und Auskunftspflicht, in: recht 2005, S. 18). Seiler weist zudem zutreffend auf die Gefahr hin, dass eine konsequente Übernahme strafrechtlicher Grundsätze dazu führen kann, dass die Wahrscheinlichkeit des Zustandekommens eines materiell “richtigen” Urteils abnimmt (vgl. Seiler, a.a.O., S. 18) [E. 4.3 des Urteils des BVerwGer].

Riedo kritisiert die zitierte Stelle treffend:

Nun ist es gerade Sinn und Zweck prozessualer Grundrechte, die Arbeit der Strafverfolger zu erschweren. Sich über diesen Umstand zu beklagen, mutet eher seltsam an.

Wozu brauchen wir überhaupt das Prozessrecht, wenn wir das materiell richtige Urteil doch schon kennen und uns das formelle Recht bloss den Blick darauf zu verstellen droht? Die Hoffnungen ruhen auf dem Bundesgericht, das demnächst zu entscheiden haben wird.