Landesverweisung: Schweiz verletzt Art. 8 EMRK

Der EGMR verurteilt die Schweiz in einem Mehrheitsentscheid wegen Verletzung von Art. 8 Ziff. 2 EMRK. (EGMR 52232/20 vom 17.09.2020, P.J. AND R.J. v. SWITZERLAND). Anlass zur Beschwerde hatte das Urteil BGer 6B_191/2020 vom 17.06.2021 gegeben, das nun wohl revidiert werden muss.

Der Gerichtshof beanstandet die ungenügende Abwägung der öffentlichen und privaten Interessen sowie die Verhältnismässigkeitsprüfung. Er gewichtet insbesondere die Legalprognose stärker als die schweizerische Gerichtspraxis. Der Entscheid könnte dazu führen, dass bei bedingten Strafen eine Landesverweisung kaum mehr möglich ist, zumal bedingte Strafen eine günstige Legalprognose voraussetzen (Art. 42 Abs. 1 StGB; im konkreten Fall lautete die Strafe auf 20 Monate bedingt wegen qualifizierter Widerhandlung gegen das BetmG). Damit würde die Rechtsprechung zum Landesverweise kohärenter. Vermutlich werden aber dann einfach keine bedingten Strafen mehr ausgesprochen, wenn ein Landesverweis beantragt ist. Die Schweiz weiss sich ja immer zu helfen.

Nicht klar wird, ob das Verhalten des Verurteilten zwischen Berufungs-und Bundesgerichtsentscheid noch berücksichtigt werden muss. Das würde das Novenrecht nach BGG neu definieren.