Landesverweisung und Jugendstrafrecht

Die Landesverweisung ist auch auf sog. Übergangstäter anwendbar. In einem zur Publikation vorgesehenen Urteil schliesst sich das Bundesgericht folgender Argumentation der Oberjugendanwaltschaft ZH an (BGE 1445/2021 vom 14.06.2023):

Zusammengefasst bringt sie vor, Art. 3 Abs. 2 JStG dritter Satz verweise vollumfänglich auf das Massnahmenrecht des StGB, weshalb ein Verweis via Art. 1 Abs. 2 JStG nicht notwendig sei. Eine andere Auslegung, wonach die Landesverweisung bei Übergangstätern nicht anwendbar wäre, würde zum stossenden Ergebnis führen, dass ein Straftäter, der im Alter von über 18 Jahren ein Katalogdelikt im Sinn von Art. 66a Abs. 1 StGB begehe, hinsichtlich einer drohenden Landesverweisung bevorzugt behandelt würde, sofern er bereits früher als Jugendlicher strafrechtlich in Erscheinung getreten und deshalb ein Jugendstrafverfahren gegen ihn eingeleitet worden sei, bevor die Erwachsenendelikte bekannt geworden seien. Selbst wenn man davon ausgehe, dass es sich bei Art. 3 Abs. 2 JStG um eine ungenügende Verweisgrundlage handle, so sei zu bemerken, dass Art. 1 Abs. 2 JStG zwar grundsätzlich abschliessend sei, es jedoch nicht ausschliesse, dass auch Bestimmungen des StGB auf jugendliche Straftäter angewandt werden dürften, welche an dieser Stelle nicht ausdrücklich erwähnt würden. Auch aus der fehlenden gesetzgeberischen Anpassung des JStG liesse sich kein qualifiziertes Schweigen des Gesetzes ableiten. Im Übrigen stehe der Umstand, dass die Landesverweisung primär eine Sicherungsmassnahme darstelle, der kein Resozialisierungsgedanke zugrunde liege, der Anwendbarkeit der Landesverweisung bei Übergangstätern ebenso wenig entgegen (Beschwerde S. 3 ff.) [E. 2.1].

Die (schweizerische) Luft wird für den Beschwerdeführer dünn:

Im Ergebnis verletzt die Vorinstanz Bundesrecht, wenn sie für die vom Beschwerdegegner nach Vollendung dessen 18. Altersjahres begangene qualifizierte einfache Körperverletzung eine nicht obligatorische Landesverweisung a priori ausschliesst. Die Vorinstanz wird zu prüfen haben, ob die Voraussetzungen gemäss Art. 66a bis StGB erfüllt sind. Im Rahmen der Interessenabwägung wird sie auch die Rechtsprechung zur obligatorischen Landesverweisung heranzuziehen haben, wonach die unter das JStG fallenden – und somit nicht als Anlasstaten zählenden – strafbaren Handlungen bei der Interessenabwägung nach Art. 66a Abs. 2 StGB zu berücksichtigen sind. Das Gericht darf die Rückfallgefahr auch unter Einschluss von nicht als Anlasstaten geltenden Straftaten beurteilen. Das Rückfallrisiko, das in einer wiederholten Delinquenz zum Ausdruck kommt, ist zentrales Element des öffentlichen Interesses im Sinn von Art. 66a Abs. 2 StGB (zum Ganzen: Urteil 6B_1037/2021 vom 3. März 2022 E. 6.3.2 mit Hinweis).  [E. 2.5].