Langjährige Freiheitsstrafe auf wackliger Grundlage
Das Obergericht des Kantons Aargau hat einen Mann wegen versuchter vorsätzlichen Tötung, Raufhandels und Widerhandlung gegen das Ausländergesetz zu einer Freiheitsstrafe von 6 ¾ Jahren verurteilt.
Das Bundesgericht kassiert das Urteil und wirft der Vorinstanz (einmal mehr) vor, sie habe den Sachverhalt nicht eindeutig festgestellt (BGer 6B_661/2014 vom 13.01.2015).
Die Vorinstanz geht einerseits davon aus, dass der Beschwerdeführer als erster mit dem Messer auf B. zuging. Andererseits verweist sie auf das erstinstanzliche Urteil, wonach es sich nicht mehr feststellen lasse, wer als erster auf den anderen losging. Die Sachverhaltsfeststellung der Vorinstanz ist unklar. […]. Dazu, ob die Abwehr nach den gesamten Umständen angemessen war, oder ob der Beschwerdeführer die Grenzen der Notwehr überschritt, äussert sich die Vorinstanz nicht. […]. Das angefochtene Urteil ist nicht ausreichend begründet (Art. 112 Abs. 1 lit. b BGG). Die Sache ist an die Vorinstanz zurückzuweisen, damit diese den Sachverhalt eindeutig feststellt und demnach würdigt, ob die B. zugefügte Verletzung durch Notwehr gerechtfertigt (Art. 15 StGB) bzw. entschuldigt (Art. 16 Abs. 1 StGB) ist. Es erübrigt sich, auf die weiteren Rügen des Beschwerdeführers einzugehen (E. 5.3).
Das Bundesgericht wirft dem Obergericht des Kantons Aargau im Ergebnis nichts weniger als Justizpfusch vor. Wer gestützt auf einen unklaren Sachverhalt verurteilt, missachtet so ziemlich jeden Grundsatz des Strafrechts. Das kann ja mal vorkommen, selbst bei Profirichtern. Wer aber die bundesgerichtliche Rechtsprechung in den Fällen aus dem Kanton Aargau analysiert kommt nicht umhin zu fragen, wie lange das ohne Konsequenzen weitergehen soll.
Die Frage stellen heisst sie zu beantworten ;p
In der Grossindustrie überleben nur noch diejenigen Firmen, welche regelmässig automatische Qualitätskontrollen all ihrer (Fabrikations-) Vorgänge durchführen. Auch in Spitälern wird Ähnliches eingeführt.
Stellt sich also auch noch die Frage, wann Qualitätskontrolle im Justizwesen eine Selbstverständlichkeit wird.
Für jeden Richter jeder Instanz ein lebenslanges Dossier, in welchem aufgeführt ist, welche Urteile gefällt wurden und welche davon in oberer Instanz bestätigt oder korrigiert wurden.
Sie haben völlig recht. Es muss sich etwas ändern. Wenn man Entscheide des Obergerichts des Kantons Aargau studiert, fragt man sich, ob es jemals in die Bundesverfassung geblättert hat. Insbesondere wird der Anspruch auf das rechtliche Gehör mit Füssen getreten.
Gemäss den Autoren von “UBS-Betrug – Echte Fälscher oder falsche Spur?” verurteilte das Berner Obergericht einen Angeklagten wegen Fälschung von Zinscoupons, obwohl “Bei 45 Coupons […] auch bei entsprechendem Aufwand keine absolute Klarheit über die Identität der Coupons gewonnen werden” konnte.
Das Bundesgericht wies die dagegen eingereichte Beschwerde ab (BGE 6B_176/2008). Wer also die bundesgerichtliche Rechtsprechung analysiert, kommt nicht umhin festzustellen, dass unser höchstes Gericht selbst “so ziemlich jeden Grundsatz des Strafrechts” missachtet.
Ihre Analyse ist schwach. Was ist mit den zahlreichen Urteilen, die bestätigt worden sind? Werden diese von Ihnen bewusst ignoriert? Was ist mit den all den Urteilen, wo Anwälte komplett versagt haben (z.B. 6B_444/2014: Die Rügen des Beschwerdeführers gehen sachlich und rechtlich an der Sache vorbei…)? Unterscheiden sie, ob ein Urteil komplett oder nur teilweise aufgehoben worden ist? Und wie halten Sie es zuletzt mit Ihnen selbst? Wenn man in der Suchmaske des Bundesgericht “Konrad Jeker” eingibt, dann erscheinen 24 Treffer. 19 Beschwerden wurden abgewiesen. Mit Ihren Worten: Man kommt nicht umhin zu fragen, wie lange das ohne Konsequenzen weitergehen soll.
Ich habe nicht analysiert, sondern polemisiert. Und ich habe es in meinem eigenen Namen getan und werde es weiterhin tun. Aber danke für die Blumen. Wenn Ihre Zahlen stimmen würden, wäre ich statistisch gesehen ja überdurchschnittlich erfolgreich. Aber keine Angst, Ihre Zahlen stimmen nicht.
@Petra Schönberger Was sie da vergleichen, kann schlicht nicht verglichen werden, ja der Vergleich ist abstrus. Zudem fällt in der Tat auf, wie oft das Obergericht AG in Grundlegendem korrigiert werden muss – auch in Relation zur Kantonsgrösse.
@PetraSchönberger: Erfolgsquoten von Rechtsmitteln sind kein Gradmesser für die Justizqualität, nicht bei vollkommenen Rechtsmitteln, schon gar nicht bei unvollkommenen Rechtsmitteln wie der Beschwerde ans Bundesgericht. Wie viele Entscheide werden gar nicht angefochten, obwohl sie fehlerhaft sind? Steht das Ermessen des Rechtsmittelrichters nicht zunächst tendenziell hinter seinem Vorrichter-Kollegen und nicht beim ruhestörenden Rechtsmittelkläger? Braucht es nicht schon bei einem vollkommenen Rechtsmittel ein tüchtiges Momentum, bis ein Entscheid kippt? Bei unvollkommenen Rechtsmitteln wie der Beschwerde ans überlastete Bundesgericht braucht es Fehlleistungen im Quadrat , bis ein Urteil kippt. Dazuzurechnen sind die fehlerhaften Entscheide, die gar nicht am Bundesgericht landen. Das dürften nicht wenige sein. Jedenfalls dürfte eine abschreckende Eintretens- und Entschädigungspraxis wohl dafür sorgen, dass manch erfolgsversprechende Beschwerde erst gar nicht geschrieben wird.