Lauber c. “Chefrichter”?
Der heutige Beitrag im Tages-Anzeiger macht deutlich, dass die Schweiz auf Bundesebene mit Strafverfolgung, mit Gewaltentrennung und mit richterlicher Unabhängigkeit schlicht nicht vernünftig umgehen kann. Dass sich ein Richter (Judikative) informell bei einem Parlamentarier (Legislative) über die Bundesanwaltschaft (Exekutive) beschwert und dabei einen anstehenden Entscheid, an dem er mitwirkt, im Ergebnis schon vorwegnimmt, kann man als Aussenstehender kaum glauben. Das gilt erst recht, wenn in diesem Entscheid der BA ausgerechnet vorgeworfen wird, sich an informellen Absprachen beteiligt zu haben. Dass dann die Legislative auch noch die Aufsichtsbehörde AB-BA (ein Zwitter, aber wahrscheinlich Exekutive) einbezieht macht die Sache nicht besser.
Das Problem liegt ganz offensichtlich nicht in der Person des Bundesanwalts. Diese mag nicht fehlerfrei sein, aber die vollkommen fehlkonstruierte Behördenorganisation rund um die Strafverfolgungskompetenz des Bundes, das teilweise wenig geeignete Personal und das fehlende Rollenverständnis vieler Beteiligter ist der eigentliche Grund, dass ein Bundesanwalt nach dem anderen zum Scheitern verurteilt ist. Daran wird auch die gegenwärtige Untersuchung gegen den Bundesanwalt, deren Ergebnis ja bereits vor Beginn der Untersuchung festzustehen scheint, nichts ändern.
Es wird immer wieder versucht diese Verfilzung der Classe Politique zu vernebeln mit Hinweisen auf das Demokratieprinzip. Demokratie und Filz sind allerdings zwei unterschiedliche Dinge, die man auseinanderhalten sollte. Letztlich führt kein Weg an Reformen vorbei, wie sie die Justiz-Initiative vorschlägt, um der Rechtsstaatlichkeit gerecht zu werden. Eine Gewaltentrennung, welche diese Bezeichnung auch verdient stände jeder Demokratie, also auch der Schweiz, gut an.
Wie schon vor einigen Tagen in anderem Zusammenhang kommentiert, könnte die Schweiz zu klein sein, für die Umsetzung klarer und weitreichender Unabhängigkeit von Amtsinhabern und anderen Funktionsträgern. In einem Land, in dem fast jede Person, die irgendwo in Verwaltung, Justiz oder WIrtschaft Entscheidungen trifft oder Interessen vertritt, über höchstens zwei oder drei Kontakte mit anderen Entscheidungsträgern bekannt oder verwandt ist, kann sich Unabhängigkeit nur aus der persönlichen Haltung ergeben. Sonst würde ja Lunchverbot und allabendliches, einsames Neflix-Gebot das Leben dieser Personen beherrschen. Auch kein schönes Modell einer Gesellschaft: Wir können vorläufig kein Bier mehr miteinander trinken, wir könnten potentiell kollidierende Interessen haben.
Und dass am Ende dann noch die Meinung vorgetragen wird, dass jeder Richter oder Parlamentarier überall (am Liebsten noch vor PArteigenossen) seinen Senf zum Besten geben darf, und nur der Bundesanwalt sein Leben als Eremit fristen soll, ist wirklich keine tragfähige Konzeption – weder politisch, noch rechtlich, geschweige denn menschlich.
Eremiten müssten die Richterinnen und Richter nicht sein – aber etwas Einsamkeit ertragen zu können, scheint mir eine wesentliche Bedingung, um dieses überaus wichtige und verantwortungsvolle Amt unabhängig ausüben zu können.
So ist es. “Bellinzona” ist und bleibt ein Schnellschuss des Parlamentes, teuer und überflüssig..
Immerhin gibt es für Gerichte hinsichtlich Unabhängigkeit und Ausstandsfragen gesetzliche Vorgaben und eine reiche Praxis. Wie ist das eigentlich mit der hier als Grundlage der Anklage dienenden sog. 4. Gewalt im Staat? Wenn Sie das Journalistenmilieu nur ein bisschen kennen, so werden Sie feststellen, dass sich die (tatsächlichen oder vermeintlichen) Verflechtungen in der Justiz gegen die Verflechtungen in den Medien bescheiden ausnehmen. Seien Sie also vorsichtig. Nicht alles, was der Tages Anzeiger schreibt, ist die interessenfrei verkündete Wahrheit. Im Übrigen ist es gerade die auf die Person zielende Berichterstattung des TA, welche die von Ihnen angeprangerte Verpolitisierung der Justiz begünstigt.
@V.Orsicht: Ich kenne das Milieu zwar nicht, aber mein Beitrag basiert ja nicht auf dem Tagi, sondern nimmt seinen Artikel nur als Aufhänger.
Immerhin nehmen Sie den Beitrag im TA als Beleg für das nach Ihrer Ansicht vorhandene institutionelle Versagen. Insoweit basiert Ihre Behördenschelte durchaus auf dem TA. Basierte Ihre Kritik dagegen nicht auf dem TA, so müsste sie als rein subjektive Unmutsbekundung bezeichnet werden, welche durch nichts belegt wird. Ihr Beitrag wäre als Polemik entlarvt, was die Sache auch nicht besser machen würde.
Ich nenne den Tagi als Quelle, das stimmt. Der Rest ist zwar logisch nicht zwingend, aber ich wehre mich auch nicht gegen den Vorwurf von Unmutsbekundungen und Polemik. Die Freiheit nehme ich mir hier ab und zu.
Das Revisionsgesuch von Bundesanwalt A. war offensichtlich unzulässig. Beschwerdekammerpräsident E. musste nicht einmal Stellung nehmen: https://www.bstger.ch/de/media/comunicati-stampa/2019.html#1006
Bloss gut, dass die Beschlüsse anonymisiert wurden.