Lex mitior v. Zeitgesetz

Die strafbewehrte Maskentragpflicht gemäss Covid-19-Verordnung besondere Lage vom 19. Juni 2020 (SR 818.101.26) galt nur in bestimmten Perioden und war daher als Zeitgesetz der Anwendung von Art. 2 Abs. 2 StGB (lex mitior) entzogen (BGer 6B_824/2023 vom 29.08.2023):

Zum Zeitpunkt des dem Beschwerdeführer zur Last gelegten Sachverhalts vom 27. Februar 2021 war die Covid-19-Verordnung besondere Lage vom 19. Juni 2020 (SR 818.101.26) mit Stand vom 8. Februar 2021 in Kraft. Es handelt sich dabei um ein Zeitgesetz im oben dargelegten Sinn, da die Verordnung von Anfang an auf die Dauer der besonderen Lage im Sinne von Art. 6 EpG und damit von vornherein zeitlich auf die Ausnahmesituation begrenzt war. Die besondere Lage und damit die letzten Massnahmen in der Covid-19-Verordung wurden per 1. April 2022 aufgehoben; die Rückkehr in die normale Lage erfolgte wegen der hohen Immunisierung der Bevölkerung und folglich geringen Wahrscheinlichkeit einer Gefährdung der öffentlichen Gesundheit (vgl. Medienmitteilung des Bundesrats vom 30. März 2020 “Coronavirus: Rückkehr in die normale Lage und Planung der Übergangsphase bis Frühling 2023”) und war damit den geänderten tatsächlichen Verhältnissen geschuldet (E. 4.2.2).

Das mag ja im Ergebnis richtig sein, aber kaum richtig ist, dabei auf die Einschätzung des Bundesrats und dessen Medienmitteilung abzustellen. Aus heutiger Sicht erscheint die Verletzung der Maskentragpflicht – je nach der konkreten Situation – möglicherweise auch nicht mehr klar als strafwürdig.

Quizfrage: wie wäre der Fall zu entscheiden, wenn sich herausstellen würde, dass Masken in der konkreten Situation nach aktuellen Erkenntnissen im Hinblick auf den mit der Tragpflicht verfolgten Zweck sinnlos oder sogar schädlich waren?